Mollklänge für den Mollmonat

POP Die in Berlin lebende dänische Sängerin Agnes Obel kommt auf ihrem zweiten Album „Aventine“ ohne Zuckerguss aus. Gut so!

Vielleicht braucht man für den November einfach nur diese Platte. Es könnte jedenfalls gelingen, die kommenden 30 Tage nur mit dem Album und einer Winterbettdecke bewaffnet zu überstehen. Vielleicht noch mit einem warmen Mantel für kurze Ausflüge in den Park, in dem es mit etwas Glück ein wenig Abendsonne gibt. Die Kopfhörer sollte man aber aufsetzen. Wenn darauf Agnes Obel zu hören ist.

Das neue Album der in Berlin lebenden Dänin Obel, „Aventine“, ist Klassik und Pop zugleich – und es ist großartig. Glaubt man manchmal Belá Bartók oder Chopin zu hören, so klingt im nächsten Moment das leichte Dahingleiten von, sagen wir, Simon & Garfunkel hindurch. Mit dem Unterschied, dass die Gesangsspur über den sanften Pianotönen und den sorgsam platzierten Streichern von einer zerbrechlichen Frauenstimme getragen wird.

Die gehört der gebürtigen Kopenhagenerin Obel, die seit 2006 an der Spree zu Hause ist. Die klassische ausgebildete Pianistin war bereits mit ihrem Debütalbum „Philharmonics“ sehr erfolgreich: 450.000-mal hat sich ihr 2010er-Werk in Europa verkauft, in Dänemark bekam sie Fünffach-Platin.

Die Kehrseiten ihrer harmonischen Kompositionen waren darauf aber noch deutlich zu hören: leichte Konsumierbarkeit, zuweilen ein Tacken zu viel Zuckerguss. So landete ihr erster größerer Hit, „Just So“, auch in einer Telekomwerbung.

Der Kitschfaktor ist bei „Aventine“ fast verschwunden. Mit tieftraurigen Klängen geht es los – die erinnern an die „Nocturnes“ von Chopin und sind genauso berührend. Die folgenden Songs „Fuel to Fire“ und „Dorian“ zeigen dann bereits, wie gut und bis ins letzte Detail stimmig „Aventine“ ist: Man hört tiefenschwere, epische Klassik-Pop-Hymnen und viele, viele Molltöne. Die fünfmonatige Produktionszeit hat sich gelohnt, jede Tonspur sitzt.

Das sorgfältig arrangierte Cello der Berliner Mitmusikerin Anne Müller sowie das Geigenspiel der Kanadierin Mika Posen stützen das Klavierspiel der 33-jährigen Dänin. In Songs wie „Aventine“ oder „The Curse“ übernehmen die variierenden Streicher, mal gezupft, mal Spiccato, locker-leicht die Rhythmussektion – während das Laub langsam fällt. JENS UTHOFF

■ Agnes Obel: „Aventine“ (Pias/Rough Trade), live: 3. Januar 2014, Philharmonie