Tante Emma in der Pampa

FOSSILE Der Fotograf Guillermo Srodek-Hart zeigt auf seinen Bildern Handwerksbetriebe, Kramläden und kleine Geschäfte – seine „Stories“ aus dem tiefsten argentinischen Hinterland sind derzeit in Berlin zu sehen

Der Turbokapitalismus hat sich noch nicht bis in die Pampa durchgefressen

Die Pampa ist selbst in Europa sprichwörtlich geworden. Sie steht für eine Gegend ‚in the middle of nowhere‘. Doch was Guillermo Srodek-Hart im argentinischen Hinterland mit seiner Plattenkamera fotografiert hat, kennzeichnet die Pampa als ein Refugium einer andernorts weitgehend ausgestorbenen Ökonomie. Srodek-Harts Fotos sind in einer noch bis Mitte Dezember andauernden Ausstellung in der Galerie Kuckei +Kuckei zu sehen. Sie zeigen kleine Kramläden und Handwerksbetriebe: Fleischerei, Schusterei, Reinigung, eine Bar oder einen Friseurladen.

Die abgelichteten Interieurs sind menschenleer. Srodek-Hart konzentriert sich auf die Installation der Objekte im Raum. Da sind dann Konservenbüchsen oben auf dem Regal hübsch zu Pyramiden gestapelt, und die Flaschen stehen – Etikett nach vorne – aufgereiht darunter. Die Ladentheke mit ihrer uralten Waage und dem ganzen Krimskrams in Tüten, Rollen und Schachteln, auch die mittlerweile aus Plastik bestehenden Brauseflaschen lassen eigentlich nur noch wenig Platz, um die Waren herüberzureichen. Im Schlachterladen, wo das buchstäblich fette Angebot vor Fleischwolf und Knochensäge ausgebreitet ist, kann man an der Wand lesen: „Haus gegründet im Jahre 1891“. Seit dieser Zeit scheint sich dort nicht viel verändert zu haben.

Srodek-Hart ist Jahrgang 1977. Er lebt in Buenos Aires, sein Vater aber lebt auf einer Farm in der Pampa. Der Sohn besucht ihn öfters, nicht ohne immer wieder die kleinen Provinzläden auf dem Weg zu fotografieren.

Was fasziniert ihn so an diesen Interieurs, die voller Patina vieler Jahrzehnte sind? Sind es die abgewetzten Einrichtungen und Werkzeuge, die zernarbt die Spuren ganzer Generationen tragen? Der schwere Friseurstuhl etwa, von dessen ehrwürdigem Alter das durch unzählige Besucher blank gewetzte Metall des Fußtritts erzählt ebenso wie die verbeulten Armlehnen?

Die Dinge selbst erzählen. Weil sie vieles erlebt haben. Weil man ihnen die Gelegenheit gegeben hat, in Würde zu altern. Weil die gusseiserne Nähmaschine für das Leder beim Schuster immer noch lebt, immer noch in Benutzung ist. In der Stadt, egal ob in Buenos Aires oder in Europa, sind auch die Kram- und Tante-Emma-Läden nicht mehr zu finden. Hier regieren die immer gleichen Shoppingcenter mit den zum baldigen Konsum und zum Wegwerfen bestimmten Waren.

Auch in der Pampa sind die von Srodek-Hart abgelichteten Lebenswelten aus einer anderen Zeit heute dem Untergang geweiht. Nur hat sich der Turbokapitalismus bis dahin noch nicht recht hindurchfressen können. Zu wenig zu holen bei den Gauchos, könnte man fälschlicherweise annehmen. Bis er Mittel und Wege findet, sich auch diesen Landstrich zu erobern, können wir Zeitgenossen uns noch einmal an Srodek-Harts erst in den letzten paar Jahren aufgenommenen Fotos erfreuen.

Sie zeigen nämlich nicht nur lebende Fossile einer noch lokalen – nicht globalen – Ökonomie, sondern auch deren Evokationen: die erinnerungssprühende Kraft von Gebrauchsdingen, wenn sie durch die Hand von Generationen gingen und eine Welt voller überkommener Formen und Farben, die Einblicke in eine Vergangenheit erlaubt, die sonst nur im Museum eingesargt zu erleben ist. Srodek-Harts „Stories“ sind Momentaufnahmen einer hochbetagten „kleinen“ Ökonomie, die man mit Wehmut betrachtet. Vor allem wohl deshalb, weil sie eines noch besitzt: Menschlichkeit. Deshalb kann Srodek-Hart wohl auch darauf verzichten, noch Personen ins Bild zu rücken. RONALD BERG

■ Galerie Kuckei+Kuckei, Linienstraße 158, Mitte; noch bis zum 21. Dezember, Di.–Fr. 11 bis 18 Uhr, Sa. 11 bis 17 Uhr