Zum Kaffee mit den Schlapphüten

400 Euro im Monat und „Aufstiegschancen“: Verfassungsschutz wollte Göttinger Studenten zum Bespitzeln der örtlichen Anti-Atom-Initiative anwerben. Die Geschichte der Observierung von Linken reicht in der Stadt weit zurück

aus Göttingen REIMAR PAUL

Die Anti-Atom-Bewegung in Göttingen ist erneut zum Ziel einer fragwürdigen Überwachungsmaßnahme geworden. Ende Februar erhielt der Student Peter L. nach eigenen Angaben ein telefonisches Job-Angebot vom Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz (VS): Gegen Geld sollte er die örtliche Anti-Atom-Szene ausspionieren.

L. hatte sich zuvor über eine private Arbeitsvermittlungsagentur um einen ausgeschriebenen Ferienjob als Betriebssanitäter beworben – in einem AKW, was der Student allerdings erst von einem Verfassungsschützer erfuhr. Der VS-Mann hatte die Unterlagen von L. im Rahmen der routinemäßigen Sicherheitsüberprüfung eingesehen und wollte mit dem Bewerber nun ein Gespräch über dessen Antifa-Vergangenheit in Wilhelmshaven führen. Bei einem gemütlichen Kaffeetrinken, so der Geheimdienstler, könne man die alten Polizeimeldungen ja mal gemeinsam durchgehen.

In einem zweiten Anruf, L. hatte auf die Ferientätigkeit im AKW inzwischen verzichtet, machte der Verfassungsschützer dann das neue Jobangebot: Bei monatlichem Salär von 400 Euro und „Aufstiegschancen“ solle der Student den „extremen Flügel des Göttinger Anti-AKW-Spektrums“ ausspionieren. Genaueres sollte bei einem persönlichen Gespräch vereinbart werden.

Dazu kam es allerdings nicht, denn der Angesprochene lehnte die Offerte ab und machte den Fall über das Göttinger Anti-Atom-Plenum öffentlich. Ein Plenumssprecher sagte der taz gestern, ein „extremer Flügel des Göttinger Anti-AKW-Spektrums“ sei in der örtlichen Szene gar nicht bekannt. Die einzige kontinuierlich zu diesem Thema arbeitende Gruppe sei das Anti-Atom-Plenum selbst.

Das Plenum, das sich seit elf Jahren öffentlich trifft, stand in der Vergangenheit schon öfter im Visier des Staatsschutzes. So besuchte schon 2000 und 2001 ein LKA-Beamter aus Hannover unter falschem Namen Veranstaltungen und Treffen der Atomgegner. Zusammenkünfte seien zudem von Beamten von außen observiert worden, erzählen Betroffene: Zuletzt seien am 28. September vergangenen Jahres „mindestens zwei zivile Polizeibeamte“ identifiziert worden, „die aus 50 bis 100 Metern Entfernung den Eingang zu unserem Versammlungsort eine halbe Stunde lang beobachteten“.

2004 stand das öffentliche Treffen des Plenums nach Angaben Beteiligter sogar regelmäßig unter polizeilicher Beobachtung. Von jedem Teilnehmer sei eine Personenbeschreibung erstellt und eine Akte angelegt worden.

Das Anti-Atom-Plenum wähnte sich damals vor allem wegen eines Partyplakates als militant eingestuft. Auf dem Poster waren Autoreifen und Regenschirme abgebildet. Ein Schriftzug kündigte an, ein bevorstehender Castortransport nach Gorleben möge „im Göttinger Widerstandsdschungel gnadenlos stecken bleiben“. In den vergangenen Jahren hatten die Göttinger Atomgegner stets zu Protesten gegen die Atommüllfuhren nach Gorleben aufgerufen. Einmal rauschte der Zug bei Göttingen sogar durch eine Barrikade aus Regenschirmen.

Im Herbst 2004 wurde auch der Göttinger Student und Atomkraftgegner Daniel H. zwei Wochen lang observiert und abgehört. Polizisten beschatteten den damals 25-jährigen rund um die Uhr und verfolgten ihn sogar bis zum Eingang der Universitätstoilette. Nicht nur seine Telefonate, sondern auch die seiner Mitbewohner wurden belauscht. Darüber hinaus brachten Beamte am Auto eines Bekannten einen GPS-Peilsender an. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Sommer die in Niedersachsen praktizierte vorbeugende Telefonüberwachung für verfassungswidrig erklärte, gab das Göttinger Landgericht einer Beschwerde von H. statt. Es erklärte das Abhören von mehr als 80 Telefonaten des Studenten und seiner Mitbewohner für rechtswidrig. Inzwischen klagt H. auch gegen die anderen Observationsmaßnahmen.

Über den nun bekannt gewordenen Anwerbeversuch des Verfassungsschutzes ist das Anti-Atom-Plenum besonders empört: „Wenn ein ahnungsloser Arbeitssuchender unvermutet so ein Angebot erhält, ist das eine massive psychologische Belastung für ihn“, sagte gestern ein Sprecher. Überhaupt sei das Vorgehen der Schlapphüte für alle kritischen Menschen eine Belastung. Ihnen solle wohl suggeriert werden, niemandem im eigenen Bekanntenkreis mehr zu trauen.