Wer hier nicht staunt, muss ein kaltes Herz haben

Natalie Tenbergs Gastro-Kritik: Nirgendwo ist man sicherer, in Berlin zu sein, als im Solar in Kreuzberg. Wie schön!

Es gibt Kneipen und Restaurants in Berlin, von denen glaubt man, sie seien typisch für diese Stadt. Weil die Gäste trashig aussehen, weil das Bier billig ist, oder weil gerade zwei Menschen, die man aus dem Fernsehen kennt, ihre Köpfe zusammenstecken. Sobald man aber andere Gegenden oder Länder bereist, stellt man fest, dass wenig an Berlins Gastronomie so einzigartig ist, wie es einem erscheinen mag. Im Solar in Kreuzberg aber herrscht Gewissheit: Wer hier sitzt, der ist ganz sicher in Berlin!

Die Lounge mit angeschlossenem Restaurant befindet sich nämlich im 17. Stock eines unglaublich hässlichen Betonbollwerks an der Stresemannstraße, beinahe in der geografischen Mitte Berlin, und ist fast rundum verglast, was einen herrlichen Panoramablick erlaubt.

Der Eingang liegt im Erdgeschoss, hinter einer Autowerkstatt. Die schwere schwarze Tür wird von einem bulligen Türsteher geöffnet, der einen höflich zur Garderobe weist. Mit dem gläsernen Aufzug gelangt man in das untere der beiden Stockwerke, die das Solar belegt. Man findet ein gediegenes Restaurant vor, für das man jedoch früh reservieren sollte. Lange Tafeln stehen über Kreuz im Raum, an ihnen sitzen schon gegen 19 Uhr einige Gäste beim Abendessen. Wer hier eintritt, ohne zu staunen, muss ein kaltes Herz haben. Beim Ausblick von hier oben erscheint alles winzig klein und nah beieinander.

Niedlich fast.

Über eine breite Wendeltreppe, die an das Modell aus dem Jumbojet erinnert, gelangt man in die Lounge im obersten Geschoss. Die Treppe ist aber nicht die einzige Anleihe aus dem Flugzeugdesign: auch der Boden ist mit dunklem Teppich ausgelegt. Was in anderen Lokalen ein wenig gewollt scheint, haut im Solar hin. Hier glaubt man wirklich, sich im ständigen Anflug auf Berlin zu befinden. Die Gäste räkeln sich auf weißen Lederinseln und breiten Schaukeln. Alle starren nach draußen.

Typisch für Berlin ist am Solar auch, dass die Gäste und die Bedienung weniger durchgestylt sind, als die Location selber. Oder sehen Menschen im Kontrast zur futuristischen Inneneinrichtung leicht gestrig aus? Egal. Das Personal ist trotz Cocktailkarte gerne bereit, ohne zu Murren Bier oder Saft zu bringen, wiederum eher untypisch für Berlin.

Wer den Berlin Blues hat, einen Umzug in eine andere Stadt in Erwägung zieht, der sollte ins Solar kommen und auf die Großstadt schauen. Nirgendwo ist man sich sicherer: Ich bin in Berlin, wie schön! Ach ja, Getränke gut, alles gut.

SOLAR, Stresemannstr. 76, 10963 Berlin-Kreuzberg, S Anhalter Bahnhof, Tel. (01 63) 765 27 00, www.solarberlin.com, So–Di 18–2 Uhr, Fr–Sa 18–5 Uhr, Cola 2 €, Champagner 8,80 €, Longdrinks ab 6 €, im Restaurant frühzeitig reservieren