ausgehen und rumstehen
: Das realistische Blas-Feeling der Achtzigerjahre

Jürgen Drews ist nicht nur der Name eines abgehalfterten Schlagersängers. Es ist auch der Name eines Mannes, der lange Jahre das musikalische Ressort des Goethe-Instituts geleitet hat. Vor ein paar Jahren schied er aus seinem Amt und machte zum Abschied sich selbst, dem Institut, der Welt und neun Musikern ein bombastisches Geschenk: Er schickte den Songwriter Maximilian Hecker und die Songwriterin Barbara Morgenstern zusammen mit ihren beiden Bands vier Monate lang auf eine Gastspielreise, bei der kein Kontinent trocken blieb.

Einen Monat lang war ich als Keyboarder von Maximilian Hecker Teil dieses bezahlten Urlaubs. Als Barbara Morgenstern es sich nicht nehmen ließ, am Wochenende bei der Präsentation ihrer neuen Platte in der Maria „auch alte Sachen“ zu spielen (häufigste Frage von Personen, die ein Konzert verpasst haben, an welche, die da waren: „Und, haben sie auch alte Sachen gespielt, oder [mit leicht verzogenem Gesicht] nur neue?“) war natürlich bei mir alles sofort wieder da, und ich sah uns wie in einem Film: an Jakarandas schnuppern, die Johannesburg in Lila tauchten; in Ankara das Badehaus besuchen, in dem der haarige Masseur uns auf den Arsch schlug; in Chile mit der Seilbahn fahren zu einem schwulen steinernen Riesenjesus; und nicht zuletzt – in der Deutschen Schule in São Paulo auf Kinderbäuchen unterschreiben.

Für die zehn- bis fünfzehnjährigen BrasilianerInnen war nämlich das Konzert, was wir ihnen um 11 Uhr morgens in der Aula gaben, das erste Rockereignis ihres Lebens. Dementsprechend überzeugend spielten sie eine auf MTV gesehene Hysterie nach. Besonders rührend war in dem Zusammenhang ein wirklich noch sehr kleines, asiatisch ausschauendes Mädchen, das Barbara um den Hals fiel und „I love you“ rief.

Morgensterns neue Lieder erkannte man, außer daran, dass man sie nicht kannte, an einem anscheinend von ihr neu gefundenen charakteristischen Klaviersound anstelle der ehemals bevorzugten Orgeln. Mir fiel zum ersten Mal auf, wie schön Barbara spielt. Ihr Stil war entfernt jazzig, aber um in eine streberhafte dynamische Überprononcierung zu verfallen, wie es so viele „gute“ Pianisten tun, hatte sie doch zu viel von ihrem Computer gelernt. Die kontrollierte Zufälligkeit der Tonkombinationen übte bei ihr einen ähnlichen Reiz aus wie bei John Cales minimalistischen Klavierstücken.

Damit sie nicht so allein war, halfen ihr ein Schlagzeuger und eine Querflötistin. Letzteres hätte von mir aus nicht unbedingt sein müssen, denn die Querflöte steht bei meinen Top 4 der Instrumente, die in der Popmusik nichts zu suchen haben, auf Platz 3. Auf Platz 4 rangiert das Saxofon. Hier gibt es natürlich einige Einschränkungen und Ausnahmen, wer will schon was gegen die X-Ray-Spex oder die Specials sagen. Aber ein freistehendes Saxofon, das in einem klassischen Popsong ein Solo spielt und dabei die Gesangsstimme paraphrasiert – das geht wirklich nicht.

Auf Platz 3, wie gesagt, die Querflöte. Einziges Gegenbeispiel: Die Platte „Chelsea Girls“ von Nico. Platz 2 belegt die Panflöte, dazu braucht man wohl nichts zu sagen. Platz 1 aber gebührt der synthetischen Mundharmonika. Der Synthesizer-Klassiker DX7 beinhaltete einen bestimmten Gimmik namens „Breath Control“. Dies war ein Mundstück, das man ins Keyboard stöpseln konnte, und das, wenn man hineinblies, Klangfarbe und Lautstärke des ausgewählten Klangs beeinflusste. So sollte ein realistisches Blas-Feeling entstehen. Die so behandelte Mundharmonika war in den 80ern richt beliebt, und ihr metallisches Gefiepe macht bis heute einige an sich tolle Prefab-Sprout-Stücke schwer hörbar. Von den übrigen, sehr intensiven Erlebnissen des Abends ein andermal.

JENS FRIEBE