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: HELMUT HÖGE über Flüssiges und Allzuflüssiges

„Rheomatik oder Rhizom, das ist die Frage“ (Deleuze/Guattari)

Alles ist im Fluss: Bereits kurz nach der Wende entstand um die Margarinefabrik in der Auguststraße ein neues Kunstzentrum – und dem alten in Kreuzberg drohte eine schleichende Abwicklung. Um dem entgegenzuwirken, haben sich nun das Künstlerhaus Bethanien, die Kunsträume des Bezirksamts im Bethanien, die NGBK in der Oranienstraße 25 und das Werkbund-Archiv im selben Haus zu einer engeren Zusammenarbeit entschlossen.

Man würde darüber hinaus auch noch weitere Kunstinstitutionen in das halb leere Krankenhaus Bethanien einquartieren, wenn nicht dessen linker Flügel von den so genannten Yorckstraßen-Besetzern mit Beschlag belegt worden wäre. Diese wollen alle möglichen sozialen Initiativen dort hineinziehen lassen. In der Stadt gibt es jedoch keinen Mangel an Räumen, sondern einen an Initiativen, sodass sich diese verspätete Besetzerbewegung über kurz oder lang wegen ihrer Immobilienbeschlagnahme bloß noch grämen wird.

Erst einmal sind jedoch jede Menge Parteien (Grüne, WASG, PDS etc.) auf sie raufgesprungen, um in ihrem Fahrtwasser Eindruck zu schinden – in der Hoffnung, so auch in Fluss zu kommen. Zu diesem Problem präsentierte gerade Adrienne Goehler in den Kunstwerken in Mitte ihr neues Buch „Verflüssigungen“. Gleichzeitig eröffnete im Kreuzberger Kunstraum eine Gruppenausstellung mit dem Titel „Liquid Matter“ – also ebenfalls über flüssige Dinge beziehungsweise Angelegenheiten. Und in der taz erschien ein langes Porträt von Zygmund Baumann, dessen jüngstes Buch von den „überflüssigen Menschen“ handelt – die sich zu wahren Migrantenströmen verdichten.

Unter Flüssigkeit versteht man einen Stoff, der einer Formänderung keinen, einer Volumenänderung jedoch großen Widerstand entgegensetzt. Adrienne Goehler spricht von der „flüssigen Moderne“, der alles Feste nur zu einer (vorübergehend) „geronnenen Bewegung“ wird. Wobei sie dann unter (Wieder-)„Verflüssigungen“ vor allem „Ansätze“ versteht, „die künstlerisches, wissenschaftliches und Bewegungswissen verbinden“.

Dazu zählt auch die Bethanien-Ausstellung, insofern dort bei der Beschäftigung mit „Liquid Matter“ künstlerische und wissenschaftliche Mittel zur Anwendung kommen. So befasst sich der Norweger Are Viktor Hauffen mit dem Oberförster Viktor Schauberger, der das Fließverhalten von Wasser studierte und aus Strudeln und derart verzopftem Wasser Implosionskraftanlagen ableitete, deren „Reibungshöhe gegen null“ geht. Der rumänische Künstler Dan Mihaltianu archivierte seine Sammlung von Alkoholika, die er zuvor mit unterschiedlichen Gärstoffen und an diversen Orten in selbst gebauten Kolben destilliert hatte.

Wo Goehler die „Wege und Umwege vom Sozialstaat zur Kulturgesellschaft“ nachzeichnet und dabei so manchen „Ausweg“ für die „Überflüssigen“ aufzeigt, sind die Flüssigkeitsforscher bereits als international tätige Berufskünstler angekommen. In gewisser Weise ist damit das Thema ihrer Arbeit („Liquid Matter“) mit ihrer neonomadischen Existenzweise identisch geworden.

Diese zweifache Deterritorialisierung wird jedoch nach wie vor im Künstlertum reterritorialisiert, trotz oder wegen Wohnungen und Ateliers in gleich mehreren Städten. Von einer Unbehaustheit, wie sie den Migranten kennzeichnet, kann also keine Rede sein. Das neonomadische Künstlertum (im rechten Bethanienflügel) unterscheidet sich vom notnomadischen Proletariat, dem sich die Yorckbesetzer im linken Bethanienflügel zuzählen, dadurch, dass Erstere trotz mehrfacher Immobilität immer in Bewegung bleiben müssen, was ihnen nur durch Berufskunst gelingt, während Letztere ständig hinter sozialen Bewegungen her sind, die sie notfalls simulieren, um sich und sie zu immobilisieren. Die Profikunst gehört noch zur Rheologie und die Berufsrevolte schon zur Rheomatik: Wenn Erstere eine (pädagogische) Bewegungslehre meint, kommt Letztere einem (hysterischen) Bewegungszwang nahe.