„Diese Art Staatsbürgerschaft ist viel zu kompliziert“

RECHT Experte Sükrü Uslucan hält nichts vom Modell: „Kein Anreiz zur Einbürgerung“

■ 43, ist Rechtsanwalt in Berlin. Er hat als Experte den Sachverständigenrat für Zuwanderung und die türkische Regierung in Staatsbürgerrechtsfragen beraten.

taz: Herr Uslucan, was ist eine „ruhende Staatsbürgerschaft“?

Sükrü Uslucan: Das ist ein alter Hut. Es gab zwischen mehreren lateinamerikanischen Staaten und Spanien oder zwischen Italien und Argentinien in den 1960er Jahren eine Weile lang das Prinzip einer aktiven und einer passiven Staatsbürgerschaft. Spanier, die für eine Weile in Übersee lebten, sollten ihre spanische Staatsbürgerschaft so lange ruhen lassen. Das hat die Franco-Regierung in bilateralen Abkommen mit diesen Staaten erwirkt, um es der Diaspora zu ermöglichen, wieder nach Spanien zurückzukehren. Aber Spanien und Italien haben zu diesen Ländern aber auch eine besondere Beziehung.

Horst Seehofer hat das Modell einer „ruhenden Staatsbürgerschaft“ jetzt ins Gespräch gebracht, um einen Kompromiss mit der SPD bei der doppelten Staatsbürgerschaft zu finden.

Das Modell ist viel zu kompliziert und auch mit einem hohem Verwaltungsaufwand verbunden. Es ergibt auch wenig Sinn, damit eine neue staatsbürgerrechtliche Kategorie zu schaffen, denn durch diese neue Konstruktion würden wieder neue Probleme entstehen, die gar nicht abzusehen sind. Damit würde auch die bestehende Ungleichbehandlung fortgesetzt. Denn EU-Bürger und Angehörige von Staaten, die ihre Staatsbürger nicht aus ihrer angestammten Staatsangehörigkeit entlassen, dürfen schon jetzt mehrere Pässe besitzen. Andere, deren Regierungen weniger strikt sind, dürfen das nach deutschem Recht dagegen nicht.

Wie würde sich das Modell einer ruhenden Staatsbürgerschaft auf die Deutschtürken auswirken?

Es wäre jedenfalls kein zusätzlicher Anreiz, sich einbürgern zu lassen. denn auf seine Rechte in der Türkei müsste man dann ja trotzdem verzichten. Ein Fortschritt wäre das deshalb nicht, und von so einem Modell ginge eine falsche Symbolik aus. Die Botschaft wäre weiterhin: Wir wollen euch nur hier, wenn ihr eure Beziehungen zur Türkei kappt. Aber das ist lebensfern. Vor allem aber müsste man darüber erst mal mit der Türkei eine vertragliche Einigung erreichen. Denn die Türkei müsste dann ja auf einige Ansprüche verzichten, die sie an ihre Staatsbürger stellt. Zum Beispiel, was die Wehrpflicht betrifft. Warum sollte sie das tun? Außerdem hat die Regierung Erdogan gerade erst die Briefwahl eingeführt für die türkischen Staatsbürger, die im Ausland leben. Warum sollte er auf diese potenziellen Wähler jetzt wieder verzichten? Das werden die nicht machen.

Warum ist die türkische Staatsbürgerschaft vielen Deutschtürken immer noch so wichtig?

Bei vielen jüngeren Deutschtürken ist das gar nicht mehr so. Um der Wehrpflicht in der Türkei zu entgehen, lassen sich immer mehr von ihnen aus der Türkei ausbürgern – spätestens mit 38, denn so lange kann man sich davon zurückstellen lassen. Deswegen wird da meiner Meinung nach ein Popanz aufgebaut. Wenn man junge Leute dazu zwingt, sich bis 23 für einen der beiden Pässe zu entscheiden, dann führt das nur dazu, dass manche ausgebürgert werden, weil sie das nicht rechtzeitig getan haben.

INTERVIEW: DANIEL BAX