Pariser Watergate setzt Regierung unter Druck

Im Auftrag von Frankreichs Premier de Villepin sollen 2004 einige seiner heutigen Kabinettskollegen in Sachen illegale Konten und Bestechungsgelder ausspioniert worden sein. Die Affäre könnte de Villepin bald sein Amt kosten

PARIS taz ■ Ein Rabe – corbeau – ist ein Vogel, der Unheil bringt. Oder zumindest schlechte Nachrichten. So will es der Volksmund. In Frankreich haben die schwarzen Vögel auch eine politische Funktion. Wenn irgendwo eine Ermittlung ins Stocken gerät, taucht oft ein „corbeau“ auf und liefert anonym Informationen. Anschließend macht sich die Justiz an die Arbeit.

So war es auch im Fall der nach einem Luxemburger Spekulationsinstitut benannten „Clearstream“-Affäre. Erst hatte der damalige Außenminister Dominique de Villepin einen hochkarätigen Geheimdienstler beauftragt, Recherchen über den Verbleib von Bestechungsgeldern anzustellen. Als die im Sande zu versickern drohten, lieferte im Frühling 2004 ein „corbeau“ neuen Stoff. Er schickte der Justiz eine Liste mit Namen und Kontonummern, die zahlreiche Stars und SpitzenpolitikerInnen von links und rechts angeblich bei der „Clearstream“ unterhielten und dort Bestechungsgelder aus Rüstungsgeschäften parkten.

Zwei Jahre später sind die denunzierten Personen vom Verdacht illegaler Auslandskonten reingewaschen. Aber der „corbeau“ flattert noch. Über seine Identität und seine Motive gibt es nur Spekulationen. Und „Clearstream“ ist jetzt erst recht zu einer Affäre geworden.

Grund sind die unterstellten Hintergedanken der HauptakteurInnen: Derjenige, der alles in Gang gebracht, ist inzwischen Regierungschef. Zu seinen „Opfern“ gehören Mitglieder seiner Regierung. Darunter die Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie und Nicolas Sarkozy, Innenminister und Chef der rechten Regierungspartei UMP.

De Villepin und Sarkozy sind nicht nur Kollegen in der Regierung, sondern zugleich Konkurrenten im bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf. De Villepin wird verdächtigt, er habe die Ermittlungen benutzt, um einen Rivalen zu diskreditieren. Im Hintergrund spielt Staatschef Jacques Chirac eine Rolle. Zwar dementiert der Elysée-Palast jede Einmischung in die „Clearstream-Affaire“. Doch ist die Präferenz von Chirac für de Villepin und gegen Sarkozy bekannt.

Zudem gibt es Notizen eines pensionierten Geheimdienstgenerals. Philippe Rondot, der die Entführung von Exterrorist Carlos im Sudan organisierte und an der Befreiung französischer Geiseln im Irak beteiligt war, organisierte die „Clearstream“-Recherchen im Auftrag von de Villepin. Während der jetzige Regierungschef bestreitet, dass er Sarkozy als Ermittlungsgegenstand erwähnt habe, notierte General Rondot damals: „Sarkozy im Mittelpunkt. Fixierung auf Sarkozy (siehe Konflikt J. Chirac/N. Sarkozy).“ Sarkozy hat wegen „verleumderischer Denunziation“ geklagt. In dieser Woche wird er vermutlich von der Justiz vernommen. Auch der Regierungschef de Villepin sieht sich als Opfer. Er spricht von einer „Lynchaffäre“ gegen sich. Die Medien nennen die „Clearstream“-Affäre eine „Regime-Krise“ und vergleichen sie mit dem US-amerikanischen Watergate. Manche sehen bereits Sarkozy als Nachfolger von de Villepin an der Regierungsspitze.

In die Vollen geht auch die sozialistische Opposition. Ihr Chef, François Hollande, verlangt den Rücktritt der Regierung. Und Spitzenmitglied Laurent Fabius spricht von einem internationalen Imageschaden. Bei der Aufregung vergessen die SozialistInnen zwei wesentliche Dinge: Erstens würde die Opposition sich ins Fäustchen lachen, wenn undurchsichtige Finanzgeschäfte von Sarkozy herausgekommen wären. Und zweitens nutzte auch der frühere sozialistische Staatspräsident Mitterrand die Geheimdienste zum Machterhalt – nicht zuletzt bei der Sprengung eines Greenpeace-Bootes und beim Abhören von JournalistInnen und Intellektuellen. Am Ende von Mitterrands Präsidentschaftszeit flatterte kein „corbeau“, ein Lügengeflecht lag über dem Elysée-Palast. In seinem letzten Amtsjahr musste François Mitterrand zugeben, dass er in seiner Jugend für das Vichy-Regime gearbeitet hatte und dass er die FranzösInnen seit den Achtzigerjahren mit gefälschten „Gesundheitsbulletins“ über seine Krankheit betrogen hatte.

DOROTHEA HAHN