Karl Marx has left the building

Petra Pau von der Linkspartei wurde eingeladen, um mit den Christen zu streiten. Doch das ging daneben. Stattdessen sank sie symbolisch in die Knie. Damit steht sie stellvertretend für die Kastration der Streitkultur in den Messehallen und Kirchen

MÜNCHEN taz | Dies ist die Szene einer Gefährdung. In der Halle A4 auf dem Münchner Messegelände hat der Anwalt des Publikums das Wort. Er schämt sich etwas für das, was er da vorlesen muss. Jemand aus dem Publikum hat es ihm auf den Zettel geschrieben. „Ähem“, sagt er, als folgte nun eine Sünde. „Diese Frage ist wohl etwas provokant“, sagt er und wirkt etwas peinlich berührt. Ja, er schämt sich für irgendeinen Fremden, der im Publikum sitzt. Dann liest er vor. „Karl Marx hat mal gesagt, Religion sei das Opium des Volkes. Frau Pau, gilt das heute noch immer?“ Nun blickt er nieder, er will sie schonen. Als wäre diese Frage unanständig, als dürfe sie hier so nicht sein.

Petra Pau ist in der Linkspartei, gewissermaßen gefühltes Kindeskindlein von Karl Marx. Sie ist gekommen, um zu streiten. So hieß es. Pau ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, sie ist die im Staate Deutschlands Ranghöchste der Linken. Also Frau Pau: Die Religion, das Opium des Volkes? Mach es wie dein Opa, streite!

Doch sie lacht betulich dort auf dem Podium. Sie sagt in Linkspartei-Sprech: „Die PDS hat 1990 mit der Absage an den Stalinismus den Bruch gezogen, dass nicht jeder Satz von Marx in Ewigkeit in Stein gemeißelt wurde.“ Das sagt sie, das ist ihre Antwort. Der Moderator summt: „Dann haben wir das ja geklärt und diskutieren jetzt nach vorne.“

Sie könnte Kante zeigen, doch sie nickt nur rund. Fürwahr, es fehlt die weltliche Wut hier in der Nahbegegnung zwischen kaderhaftem Linksformat und katholischem Autoritätsbetrieb.

Dabei ist es die Frage dieser Tage, es ist die Frage einer öffentlichen Migrationsdebatte, eines neuen Glaubenskrieges, es ist die Frage einer institutionellen Missbrauchsdebatte und die Frage, die die Kirche trifft: Wie viel Religion verträgt die Demokratie? Es ist eine seltene Frage auf diesem Kirchentag in München. Es ist die Frage dieses Podiums.

Karl Marx hat diesen Kirchentag verlassen. Doch Petra Pau, sie ist noch immer da. Sie soll sich streiten. Doch statt zu streiten sinkt sie so symbolisch in die Knie: „Wir sollten uns lieber fragen, wie die Religion die Demokratie bereichern kann.“ Butterweich saust sie gen Himmel. „Könnten Sie bitte mal streiten?“, fragt der Moderator. Nein, das kann sie nicht.

Petra Pau formuliert kein Ja und sie betont kein Nein. Sie gibt eine eindeutige Antwort auf die Frage, was Linkspartei zur Kirche sagt: „Jein.“ In Perfektion verkörpert sie die Unbegabtheit dieser Linken, souverän mit der Kirche umzugehen.

Das gilt nicht nur für sie. Denn auf dem Kirchentag in München gelten stille, strenge Regeln. Man redet miteinander, aber schont sich. Das gilt für Thomas de Maizière, das gilt auch für die Bundeskanzlerin. In Ehrfurcht stehen alle beisammen in diesen Dialogen voller diskursiver Kastration. Es ist die Kastration der Streitkultur. Es ist ein großes Hoffen nur. Sonst nichts.

MARTIN KAUL