Die Maschine behindern

TANZFESTIVAL Das Festival „eigenARTig“ zeigt inklusive Choreographien aus Bremen und aller Welt. Aber entsteht dabei auch eine eigene künstlerische Tanzsprache?

Die Suche nach gemeinsamer Bewegungssprache ist per se schon Inklusion. Aber wer wird in was inkludiert?

VON JENS FISCHER

Menschen, die nicht gleich, sondern auf unterschiedliche Art einzigartig sind. Beeinträchtigte und nicht Beeinträchtigte. Künstler, die körperliche/geistige Einschränkungen haben oder eben nicht. Tänzer mit und ohne Behinderung. Schon die Umschreibungen deuten an, wie schwer man sich tut, das Besondere wegzubuchstabieren. Nichts Negatives, Abwertendes soll behauptet werden, sondern von der Norm abweichende Normalität. Nicht Manko, sondern Vorteil. Wegschreiben der unterschiedlichen Voraussetzungen – oder diese zum Tanzen bringen? In diesem Spannungsfeld bewegt sich das dritte internationale Festival inklusiver Tanzkunst. Die Veranstalter, Tanzbar Bremen e.V. und Steptext Dance Project, haben es „eigenARTig“ betitelt. Zum Netzwerken und Staunen werden fünf Tage lang Workshops, Symposien, „Teaching Acts“, öffentliche Proben und Tanztheatergastspiele aus fünf Ländern präsentiert.

„Mixer“ hieß ein Abend mit Kurzchoreographien in der Schwankhalle. Offensichtlich dabei: Die Suche nach gemeinsamer Bewegungssprache ist per se schon Inklusion. Aber wer wird in was inkludiert? Spinn, Schwedens erste professionelle inklusive Tanzkompanie, zeigt „Kurvatur“. Zwei Frauen – eine im Rollstuhl, eine nicht – umkreisen die Bühne, begegnen sich im Zentrum, lehnen sich vertrauensvoll aneinander und kommunizieren damit, was beiden gleichermaßen zur Verfügung steht. Tanz ist Bewegung – also tanzen Hände, Arme, Schultern, Kopf. Wechselseitig werden Motionssequenzen inspiriert. Dann zeigt jede Künstlerin solistisch, wie sie den mit Nebel und Licht gefluteten Theaterraum sonst noch elektrisierend aufmischen kann.

Schließlich Rollentausch: Der eben noch fulminant sich selbst entknotende Tanzkörper Malin Rönnermans zwängt sich in den Rollstuhl, seine Benutzerin Emila Wärff zeigt am Boden, dass sie auch Spagat kann und kühne Rollartistik. Rönnerman steigt zu ihr herab, schaut zu, ahmt nach. Ist aber auch in der Imitation des körperlich eingeschränkten Tanzes geschmeidiger, eleganter, ausdrucksstärker, stellt ihre Kollegin ungewollt in den Schatten, bevor sich beide als beste Freundinnen aneinanderkuscheln und in die Sonnenuntergangsillumination eines Scheinwerfers blicken.

Ebenso disparat der Pas de deux, den der ehemals für Urs Dietrich am Theater Bremen tanzende Tomas Bünger für sich und die gehörlose Doris Geist choreografiert hat: „Hand in Hand (für Sabine)“. Er bringt seinen Körper zitternd in wellenartige Wallungen, sie springt darauf an, als Knäuel kullern beide über den Boden. Es folgen Trennung, neuerliches Herantasten, noch mal gemeinsam los-, dann hintereinander her- oder voneinander wegtänzeln – wer weiß das schon. Aber jeder sieht: Sie tanzt etwas anders als er. Aber sie tanzt nichts anderes als er. Wie die Schwedinnen bewegen sich auch die Bremer in der normierten Welt des Modern Dance, bedienen dessen Bewegungskanon. Genauso wie beim Duett mit und ohne Trisomie 21. In den Hauptrollen: Antonio Quiles (künstlerischer Leiter der Kompanie Alteraciones Danza-Teatro, Mexiko) und Daniel Parejo. Auch wenn ein Regisseur-Darsteller auf der Bühne behauptet, beide würden in ihrem jeweils eigenen Raum und dem subjektiven Zeitempfinden gemäß tanzen, spiegeln sie aneinander nur das bekannte Vokabular. Dabei ist wieder der vor seiner Inklusionsarbeit bereits professionell arbeitende Bewegungskünstler deutlich im Vorteil, technisch besser, präziser. So dass die Auftritte etwas von Lehrer-Schüler-Verhältnissen vermitteln, nicht ästhetisch eigene Formulierungen aus der Begegnung andersartiger Körper gewinnen.

Einen Ansatz dafür liefert „Rosa sieht Rot“, das Festivalchefin Corinna Mindt mit Neele Buchholz erarbeitet hat. Ein humorvolles Aufeinanderzu sehr unterschiedlicher Frauen, wobei die Unterschiede betont werden. Buchholz hat das Down-Syndrom und gibt die Bestimmerin, Mindt hält sich damenhaft zurück. Sie necken sich und spielen charmant mit diversen Motivationen, tänzerisch ins Streitgespräch zu kommen. Wobei auch synchrone Bewegungsfolgen ein eigenwillig asynchrones Duett ergeben, weil die unterschiedlichen Charaktere dasselbe Basismaterial individuell interpretieren. Vielleicht ein Hinweis darauf, wie unpersönlich virtuos zeitgenössisches Tanztheater ist. Denn auf nichts anderes beziehen sich auch die Bremerinnen. Und hinterfragen es. So könnten dem inklusiven Ansatz frische Impulse entwachsen.

Heute Abend gastiert die Berliner Compagnie Bryckenbrant mit „Frau Wagner rüstet sich“. In Szene gesetzt wird die Gesellschaftsmaschinerie der Disziplinierung: Menschliche Körper, die naturgemäß immer wieder aus der Reihe tanzen, eignen sich eine „Ästhetik des Einklangs mit dem Bestehenden“ an, die im schmerzhaften Gleichmaß die Künstlichkeit der Zivilisation kritisieren soll. Da kommt das Thema des Festivals weniger inklusiv als exklusiv ins Spiel – als Bereicherung der Bryckenbrant-Kunst und der gesellschaftlichen Widerständigkeit. „Aller Erfahrung nach scheint es uns nicht so, als seien Behinderte behindert, sondern vielmehr als behinderten sie den Ablauf, der die Maschine bestimmt. Dies ist eben was Bryckenbrant will. „Die Maschine behindern“, so die Selbsteinschätzung der Künstler.

Die im „Mixer“-Abend vermisste „Sichtbarmachung der Bewegungsqualität“ von Tänzern mit „unterschiedlichen Körperlichkeiten“ kündigt zum Festival-Finale Gerda Königs Company DIN A 13 an. Sie hat „Umbruch III Homezone“ in Israel mit dem Ensemble Vertigo – The power of balance entwickelt. Getanzt werden sollen Befindlichkeiten von Menschen, die täglich Bedrohungen ausgesetzt sind. Untersucht wird, welche Stärken und kreativen Kräfte das Leben in Umbruchsituationen freisetzt.

■ Samstag & Sonntag, 20 Uhr, Schwankhalle