„Das verändert etwas“

PROTOKOLL Der Göttinger Journalist Kai Budler ist von Polizei und Verfassungsschutz überwacht worden. Zugegeben haben die Behörden das nur zögerlich, seine Akten kann Budler nur teilweise lesen. Nun geht er vor Gericht

■ 43, ist Journalist beim Göttinger Stadtradio. Daneben arbeitet er unter anderem für die taz und „Zeit online“.

Dass ich überwacht wurde, habe ich 2011 erfahren. Damals gab es in Dresden den damals noch größten Naziaufmarsch in Europa, es gab Gegendemonstrationen und Proteste. Ich war da mit Journalisten-Kollegen unterwegs, um den Neonaziaufmarsch zu dokumentieren. Im Anschluss stellte sich heraus, dass damals das sogenannte Handy-Gate von Dresden passierte: Die Polizei hat von den Funkmasten großflächig Sende-und Handy-Daten der Leute gesammelt, die dort unterwegs waren. Ich wollte hinterher mit einem Auskunftsersuchen klären, ob das auch mich betraf.

Mein Anwalt hat das Ersuchen für Sachsen und dann auch für Niedersachsen gestellt, weil das das Bundesland ist, in dem ich eigentlich arbeite. Nach und nach haben mir die Behörden dann geantwortet, dass sie nichts gespeichert hätten. Letztlich antwortete aber auch der Verfassungsschutz Niedersachsen: Sie hätten durchaus Daten über mich gespeichert.

In seiner Antwort schickte er mir dann gleich sechs seiner sogenannten Erkenntnisse mit. Eine war, dass ich seit 2000 bei dem Stadtradio, für das ich arbeite, angestellt bin. Andere Erkenntnisse sind, dass ich an Demonstrationen in Göttingen teilgenommen haben soll. Ich war dort, weil es Teil meines Jobs ist, darüber zu berichten. In den Erkenntnissen liest es sich allerdings so, als hätte ich an den Demos teilgenommen. Etwa an einer, die sich nach Fukushima gegen Atomkraft wandte und bei der der Göttinger Superintendent sprach – da kann ich bei bestem Willen keinen linksextremen Hintergrund erkennen.

Als ich die Akte las – genauer gesagt, die Teile, die mir zugänglich gemacht wurden – habe ich mich schon gefragt, wie der Verfassungsschutz zu seinen Erkenntnissen kommt. Da finden sich zum Beispiel Flugblätter von Demos, bei denen ich nie war: Ein feministischer Stadtrundgang oder eine 1.-Mai-Demo in Halle, dabei bin ich nie in der Stadt gewesen.

Das hat etwas Absurdes an sich, aber auch etwas Unheimliches. Ich frage mich: Wird mein Handy abgehört, werden meine E-Mails mitgelesen? Für mich als Journalisten ist das Pfund, mit dem ich wuchere, die Vertraulichkeit. Wenn ich als Informant befürchten müsste, dass der Verfassungsschutz mithört oder mitliest, würde ich mir dreimal überlegen, ob ich mit dem überwachten Journalisten zusammenarbeite.

Aber weil ich lange bei diesem Lokalradio arbeite, hatte ich das Glück, dass es anders aufgenommen worden ist. Der Rat der Stadt Göttingen und der Göttinger Kreistag haben eine Resolution verabschiedet, in der sie den Innenminister aufgefordert haben, die Daten über mich zu löschen und die Überwachung einzustellen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie sich so hinter einen kleinen Lokalreporter wie mich stellen. Auch mein Arbeitgeber, der Förderverein, der das Radio betreibt, hat eine Erklärung abgegeben: Ob der Verfassungsschutz in Zeiten von NSU nichts anderes zu tun habe, als Lokalreporter zu überwachen? Dieses Engagement hat mir viel Angst genommen. Aber sicher: Ich weiß nicht, wer mich nicht anruft und ich glaube, dass trotz allem etwas hängen bleiben wird.

Und im privaten Bereich macht es viel aus: Wer will schon, dass seine persönlichen Gespräche von jemandem mitgelesen, mitgehört oder abgespeichert werden. Das verändert etwas: Man überlegt, was erzähle ich am Telefon, was erzähle ich nicht.

Bei mir findet sich ein Sperrvermerk auf der Akte, das heißt, ich werde per se nicht die gesamte Akte zu sehen bekommen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die gerichtliche Begründung liest sich, als könnte die Arbeit des Verfassungsschutzes gefährdet werden, wenn ich durch die Einsicht in die Daten Rückschlüsse darüber ziehen könnte, wie er vorgeht. Natürlich beißt sich bei so einer Argumentation die Katze in den Schwanz.

Meine Akte besteht aus zwei Teilen: einerseits die Erkenntnisse, die old-school-artig auf ein Blatt Papier getippt waren. Dann gab es eine zweite Ladung, wo Flugblätter und Redebeiträge gesammelt wurden. Oben ist eine Seitenzahl zu sehen, die umkringelt ist, offenbar sind sie Teil einer Akte. Da findet sich etwa der Aufruf zu dem feministischen Stadtrundgang, aber auch zwei Redebeiträge von dort. Ich habe die nicht gehalten, ich war nicht bei dem Rundgang – ich weiß schlicht nicht, was die in meiner Akte machen.

Die Polizeidirektion Göttingen hatte auf mein Auskunftsersuchen hin meine Daten gelöscht. Erst hatten sie gesagt, sie hätten keine Daten gespeichert, dann kam die Antwort des Verfassungsschutzes, die wir öffentlich gemacht hatten. Als die Wogen daraufhin höher schlugen, meldete sich die Polizeidirektion noch einmal und sagte, es habe doch etwas über mich gegeben. Das wäre aber nach Eingang des Ersuchens vernichtet worden, weil, ich sage es unfachkundig, es nichts mehr zur Sache täte. Es sei die sogenannte Löchprüffrist von zehn Jahren überschritten worden, damit sei eine Fortdauer der Speicherung nicht mehr erforderlich.

Ich klage jetzt gegen die Polizeidirektion, um feststellen zu lassen, dass ich erst über diese Daten und ihren Inhalt hätte informiert werden müssen, bevor sie gelöscht wurden. Die zweite Klage läuft gegen das niedersächsische Innenministerium, weil ich möchte, dass meine Daten gelöscht werden. Ich finde es schlicht frech, dass man mir als Beleg meiner mutmaßlichen linksextremen Umtriebe die Tatsache präsentiert, dass ich seit 13 Jahren Mitarbeiter eines Lokalradios bin. Das ist dilettantisch und unglaubwürdig.

Nun ist jetzt öffentlich geworden, dass auch andere Kollegen vom Verfassungsschutz in Niedersachsen überwacht worden sind und offenbar auch der Anwalt, der mich und andere in diesem Fall rechtlich vertritt. Egal wie die Verhandlung ausgehen wird, wird inzwischen klar, dass in dem Geheimdienst der eine nicht weiß, was der andere tut. Man könnte sagen: Eine entfesselte Behörde, die ihre Legitimation nicht nur nach außen rechtfertigen muss, sondern der es scheinbar auch intern an klaren Regelungen fehlt.  PROTOKOLL: GRÄ