Ober-Nazi, begraben neben Juden

AUF DEM FRIEDHOF

Nebenan in der Jüdischen Schule kreischen die Jungen beim Fußballspielen vor Vergnügen

Es ist an Ironie kaum zu überbieten, dass der Mann, der 1943 den ältesten Jüdischen Friedhof Berlins einebnen ließ, ebendort begraben liegt. In einem der Massengräber, in denen seit 1945 auch etwa 3.000 „zivile und militärische Kriegsopfer“ liegen, hinten am Rand des Geländes in der Großen Hamburger Straße in Mitte. Nur eine kleine Platte erinnert an sie, fünf Stoffrosen davor, versteckt hinter Eiben.

Gestapo-Chef Heinrich Müller, den man in der Nachkriegszeit bis nach Südamerika gesucht hatte, lag also die ganze Zeit mitten in der Stadt. Nur zufällig hat das jetzt der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, herausgefunden. Der Totengräber, der Müllers Leiche im August 1945 entdeckt und begraben hatte, hatte sich erst 1963 gemeldet. Seine Aussage ging unter, bis Tuchel sie nun bei Recherchen fand.

Die brutale Planieraktion von damals ist unübersehbar: Der Friedhof ist heute eine weite Fläche, bedeckt mit gelbrotem Laub. Was von den jüdischen Grabsteinen übrig blieb, hängt entlang der Friedhofsmauer. Der 341 Jahre alte Friedhof liegt in einer Straße, in der noch heute Fassaden von Einschusslöchern durchsiebt sind. Und er liegt hinter dem Grundstück, auf dem einst das erste Jüdische Altersheim stand. Nur die Grundmauern, kürzlich freigelegt, erinnern daran. Auch diesen Ort zerstörte Müllers Gestapo: 1941 deklarierte sie ihn zum Sammellager für Deportationen.

Es ist also nur allzu nachvollziehbar, dass die Jüdische Gemeinde erschüttert ist von der Neuigkeit, wer da auf ihrem Friedhof liegt. Aber man könnte auch sagen: Es geschieht diesem Mann mit dem banalen deutschen Namen gerade recht, genau dort zu liegen. Direkt neben der 1826 gegründeten Jüdischen Oberschule, erst seit 20 Jahren wieder in Betrieb, nachdem auch sie ab 1942 als Deportationslager genutzt worden war.

Es geschieht ihm so verdammt recht, dass direkt nebenan im Hof der Schule die Jungen vor Vergnügen kreischen beim Fußballspielen. Und die Schulband mit Kawumm durch die offenen Fenster gut gelaunt einen Beatles-Song nach dem anderen schmettert. ANNE HAEMING