Die Grünen als bürgerliche Ökopartei

GEHT DAS? Jan Feddersen meint, die Grünen sollen die Gerechtigkeitsfrage den Linken überlassen und als bürgerliche Ökopartei gewinnen. Dem widerspricht Andreas Petrik in seinem Beitrag vom 31. 10. Er fürchtet, den Grünen drohe als marktliberaler Partei das Aus

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz vom 28. 10. 13

In Jan Feddersens Beitrag kommt ein wesentliches Element nicht vor: Eine nachhaltige ökologische Entwicklung der Gesellschaft kann nur gelingen mit einer nachhaltigen sozialen Entwicklung. Für diese haben aber weder die Sozialdemokraten noch die Linken eine wirkliche Antwort. Und dass eine solche Antwort oder wenigstens eine Vision davon bei den Grünen nicht mehr zu finden ist, ist Teil des Niedergangs der Grünen bei dieser Bundestagswahl. Die Situation in Baden-Württemberg ist kein gutes Vorbild, weil die Grünen hier bei der nächsten Landtagswahl sicher keine 12 Prozent mehr holen werden – dafür braucht man kein Prophet zu sein. SPD und Kommunisten/Linke haben es in 150 Jahren nicht wirklich geschafft, die Polarisierung von Kapital und Arbeit zu überwinden – im Gegenteil, sie haben von dieser profitiert und sie deswegen gar nicht überwinden wollen; und die Gewerkschaften ebenso. Eine nachhaltige soziale Entwicklung zu mehr Souveränität und Gleichberechtigung in der Gesellschaft braucht ein anderes Bild von Einkommen, Anstellung und Arbeit. Und da haben SPD und Linke, aber leider auch die Grünen, bislang nichts Interessantes zu bieten. Die Grünen wären prädestiniert für die soziale Frage jenseits von Kommunismus oder Sozialismus – aber sie trauen sich nicht. MICHAEL WEILER

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz vom 28. 10. 13

Keine Ahnung, wie Jan Feddersen zu der wirren Idee der Zukunft der Grünen als Öko-FDP kam. Selbst pensionierte Akademiker am Stadtrand in Westdeutschland, wie meine Eltern, wählen Grüne maßgeblich weil sie durchgerechnete linke Programmatik anbieten. Eine Öko-FDP würden sie nicht wählen … dann vielleicht eher wieder SPD. In Berlin treten die Grünen nicht gerade als Öko-FDP auf – trotzdem mit stattlichen Wählerstimmenzahlen. Wenn die Grünen sich nicht mehr als linke Partei verstehen, kommt es irgendwann zur Spaltung, nicht zum Durchmarsch. So viele Lifestyleökos ohne soziales Gewissen gibt es gar nicht. Und ob die mit Gewissen dann die Öko-FDP wählen – oder nicht doch lieber auf die Ökoprogrammatik von Linken oder SPD vertrauen? Die Argumentation mit Ba-Wü ist dabei absurd. Kretschmann hat seinen Wahlsieg Fukushima zu verdanken, nicht seiner Wirtschaftsprogrammatik. Es war einfach Glück für Baden Württemberg, dass dort in einem Zwischenhoch der Grünen Wahlen waren. Jetzt bestimmen andere Themen die Medien, und ob das durch anderen Wahlkampf änderbar gewesen wäre, ist sehr fraglich. Und die Grünen hatten dazu noch mit Medienhetze auf Grund von Positionen zum Sexualstrafrecht aus den 80ern zu kämpfen. Dumm gelaufen der Wahlkampf, aber das macht das Wahlprogramm nicht falsch!

SILKE KARCHER, Berlin

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz vom 28. 10. 13

Lieber Herr Feddersen: Ohne Beschäftigung mit Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen ist überhaupt keine Politik möglich, auch keine grüne. Parteien, die das ignorieren, gibt es schon genug, nämlich die, in deren Arme Sie die Grünen gerne treiben wollen (CDU) beziehungsweise deren Rolle zu übernehmen Sie ihnen anraten (FDP). Bei diesen finsteren Aussichten auf Kretschmanns „prima Pop“ wünsche ich den Grünen eine ordentliche Portion dreckigen Rock’n’Roll.

KLAUS JOHN, Braunschweig

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz vom 28. 10. 13

„Erfolgreich“ wie in Baden-Württemberg? Ist es erfolgreich, den Ministerpräsidenten zu stellen und trotzdem nichts gegen Stuttgart 21 unternehmen zu können, obwohl zwischenzeitlich klar ist, dass die „Fakten“ seitens Bahn und Befürwortern, die in der Volksabstimmung genannt waren, eher Märchen waren? Oder ist es erfolgreich, 11.000 LehrerInnenstellen abbauen zu müssen, obwohl man sie alle bräuchte, um Gemeinschaftsschule, Inklusion und bessere Bildung durchsetzen zu können? Oder ist es erfolgreich, Asylpolitik gegen die überwiegend schwarzen Landräte durchzusetzen, die zentrale Lager in der Diaspora weitab jeder Integrationsmöglichkeit eröffnen oder weiterhin Roma nach Kosovo abschieben? Ja, es passiert viel Gutes mit grün-rot statt Mappus in Baden Württemberg, Stichwort Nationalpark und vieles andere, aber Deutschland ist größer und die Situation nicht einfach übertragbar. Und andere an Regierungen beteiligte Grüne machen auch gute Arbeit. Baden Württemberg ist vieles, aber keine Blaupause für den Bund.

JÖRG RUPP, Malsch

■ betr.: „Im Angesicht des Todes“, taz vom 31. 10. 13

Danke für diesen Artikel. Schon länger betrachte ich erstaunt wie eine Allianz aus konservativen Grünen und Medienmainstream an der Legende bastelt, die Grünen hätten wegen ihrer Steuerpläne die Wahl verloren. Man muss sich schon die Augen reiben, um daran zu glauben, wie hier innerparteiliche Seilschaften gemeinsam mit konservativen Medien eine Partei zerlegen. Eine unheilige Allianz mit denen, die Steuererhöhungen scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Als Öko-FDP werden die Grünen ein Drittel ihrer jetzigen Wähler an die Linke verlieren und ein weiteres an die CDU. FLORIAN NELLE, Pulheim

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz.de vom 28. 10. 13

Eine ökologische Reform ist ohne eine soziale Komponente nicht zu haben. Noch mehr als für Deutschland gilt das im internationalen Bezug, wo großflächig Lebensgrundlagen ganzer Bevölkerungen durch unökologisches und unsoziales Wirtschaften vernichtet werden. Die Ursachen unökologischen und unsozialen Verhaltens von Regierungen und Firmen sind im globalen Maßstab dieselben: weitestgehende Externalisierung der Kosten bei Internalisierung der Profite und exzessiver Klientelpolitik „dank“ Korruption und Drehtür-Effekten zwischen Politik und Firmen.

Eine Politik, die Deutschland als Insel ökologisieren möchte, ohne die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung aktiv verbessern zu wollen, ist völlig unglaubwürdig. Die Grünen haben ihre Stärken in der ökologischen und sozialen Re-Regulierung der Wirtschaft. Das weiß auch die Wählerschaft: Ohne Griffe ins Portemonnaie ist weder sozialer Frieden, noch Frieden mit der Umwelt machbar.

SCHREIBÄR, taz.de

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz.de vom 28. 10. 13

Wie kommt man bei der taz nur immer darauf, dass Kretschmann erfolgreich sei? Wer zu Hunderten mehrhundertjährige Bäume roden lässt, die gesamte Stuttgarter Parklandschaft ruiniert, dazu noch den denkmalgeschützten Bahnhof einreißen lässt für einen Rückbau der Eisenbahn-Infrastruktur, ist weder öko, noch als solcher erfolgreich. Er ruiniert die Grünen in ihrem Kern. Bei der nächsten Wahl in Baden Württemberg geht’s wieder um die 5 Prozent, denn mehr ist nicht drin für die Milliardenverschwender. JOE, taz.de

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz vom 28. 10. 13

Die Reaktionen der grünen Parteispitze nach der Wahl empfand ich ein wenig überzogen. Die personellen Maßnahmen, sowie auch die parteiinternen Grundsatzdebatten, wirkten auf mich so, als hätte man nur dieses Wahlergebnis gebraucht, um endlich das zu tun, was man ohnehin vorhatte. Ein Hauch von unproduktiver Hektik ereilte die Grünen nach der Wahl.

Die Grünen möchten sich nun für alle Seiten offen halten. Der Machtoption wegen. Nach dem Motto „ein bisschen Gysi und ein bisschen Seehofer“? Will man nach allen Seiten offen sein, dann dürfte das nur zu dem Preis möglich sein, für die Mehrheit der Wähler auch nicht mehr deutlich unterscheidbar von den anderen Parteien zu sein. Wer sich alle Optionen offen hält, hat keinen Standpunkt. Betrachtet man den Weg der Grünen von den Anfängen der 80er Jahre zum Heute, dann hat dieser Schritt eine gewisse Konsequenz. Ob diese Strategie aufgeht, werden wir spätestens in vier Jahren sehen. Vielleicht wird man bei den Grünen den phänomenalen Wahlerfolg von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg eines Tages noch verfluchen. EWALD BECK, Bad Homburg

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz vom 28. 10. 13

Feddersen vergisst erstens, dass die Wahl der Grünen in Baden-Württemberg zu großen Teilen bestimmten Umständen geschuldet war, nämlich Fukushima und der politischen Diskreditierung der Regierung Mappus im Zuge von S21. Man müsste schon hoffen, dass derartige Konstellationen nun vor jeder Wahl vorliegen, um mit dem von Feddersen geforderten, rein ökologischen Programm jemals wieder ein solches Ergebnis einzufahren. Oder aber zweitens, man unterlässt eine solche inhaltliche Verengung und fährt das volle politische Programm auf, denn was mit thematischen Nischenparteien passiert, zeigen wunderbar die Ergebnisse von AfD, FDP oder Piratenpartei bei der letzten Bundestagswahl. Keine gute Aussicht, jemals über die Rolle des Mahners hinauszuwachsen. Wie aber soll das ohne eine Verortung auf der Rechts-links-Achse funktionieren? Ein „Vorne“ gibt es ohnehin nicht; wenn man für „staatliche Almoserei“ ist, ist man eher links, ist man dagegen, eher rechts. Die v. a. in rechtslibertären Kreisen verbreitete Positionierung außerhalb dieser Kategorien dient meistens dazu, sich gegenüber den mit diesen Labels verbundenen Konnotationen zu immunisieren und sich selbst als unideologisch, wertfrei und schlichtweg im Recht darzustellen. Jenseits von aller Semantik kann Grün-Sein sicher an verschiedenen Punkten dieses Kontinuums vertreten werden, aber zu sagen, wir klammern das Soziale aus, weil es „links“ ist, während wir doch „vorne“ sein wollen, ist ein redundantes Nichtargument, politisch unklug und verschleiert, dass es sich dabei um einen impliziten Rechtsruck handelt. Kann man vertreten, aber soll man bitte schön auch so benennen. CLAUDIUS MAIER,

Villingen-Schwenningen

■ betr.: „Umarmen statt spalten“, taz vom 28. 10. 13

Es ist schon skurril: Während des Wahlkampfes fuhr die taz den Grünen mit der aufgewärmten Pädophiliedebatte in die Parade, nun nach der Wahl hagelt es haufenweise „gute“ Ratschläge für die grüne Partei, wie sie wieder mehr Prozente ergattern könnte. Dabei geraten die grünen Mitglieder immer weiter aus dem Blick. Auch das grüne Anliegen nach demokratischen Diskursen und die ethische Mündigkeit der Politiker und Parteimitglieder spielen keine Rolle. So sollen alle Grünen jetzt liberal werden und nicht zu gerecht sein. Aber man macht doch nicht zuerst Politik, um Prozente zu ergattern, sondern um seine Anliegen zu formulieren, Forderungen zu stellen und Gründe zu liefern. Die Gesellschaft verändert sich nicht positiv durch politische Marketingkonzepte, sondern durch vernünftige Diskurse, die nicht mit der Frage beginnen, was beim Zuhörer am besten ankommt! Feddersens undifferenzierte Polemik ist gegenüber allen Engagierten maximal respektlos, weil er sie alle als karrieregeile, nach Wählerstimmen schielende Vollidioten behandelt.

Genauso unselig ist Peter Unfrieds Ratschlag mit der Autoritätskeule eines Soziologieprofessors (Grüner Militärputsch, taz vom 26. 10. 13) mit den Worten, Politik könne man nicht moralgesteuert machen, weil Moral nicht kompromissfähig wäre. Schön, dass der Soziologe Vodbruba Basisdemokratie und Diskursethik dabei außer Acht lässt – als wäre der Kompromiss nicht selbst ein ethisches Ziel. Besonders lustig dann der Satz: „Es ist wichtig, nicht verhandelbare Moralgrundsätze zu haben. Antifaschismus etwa. Es sollten aber möglichst wenige sein.“ An der Stelle kann man ja nur noch laut lachen. Moral ist also okay, solange sie nicht stört. Aber von welchem Standpunkt aus macht man dann überhaupt noch Kompromisse? Welche Position wird dann überhaupt verhandelt, wenn man möglichst wenige Grundsätze hat? Danke für die Lektion. An der Stelle stellt sich dann doch eher die Frage, ob die grüne Partei überhaupt noch nötig ist, wenn gerade mal Antifaschismus als Moralkern okay ist. Aber wie ist es mit dem Klimaschutz? Und der Verantwortung für die kommenden Generationen? Wie soll man die Interessen unserer Kinder „fantasievoll“ mit den Renditezielen der deutschen DAX-Konzerne zusammenführen? Mich beschleicht das dumpfe Gefühl, dass mit jeder weiteren polittaktischen, strategisch hoch anspruchsvollen, aber inhaltlich völlig leeren Analyse grünen Politikverständnisses die politische Verdummung weiter voranschreitet. Wozu dann überhaupt noch demokratisch streiten?

MICHAH WEISSINGER, Essen