Firmen prellen Kunden um Millionen

Täglich wird 100.000fach gegen Verbraucherrechte verstoßen, schätzt der Verbraucherzentrale Bundesverband. Auch weil Einzelpersonen selten von Urteilen profitieren, fordert er nun endlich schärfere Gesetze. Die Wirtschaft ist jedoch dagegen

AUS BERLINCHRISTIAN HONNENS

Ein Kunde der Hamburg-Mannheimer wollte seinen Vertrag zur Altersvorsorge kündigen. Das Unternehmen mit dem Werbeslogan „Kaiserlich versichert“ verlangte dafür eine Stornogebühr, die das Zehnfache der Gebühr der anderen Riester-Rentenversicherer betrug. Das wäre teuer geworden für den Kunden. Doch der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) zog vor Gericht und hatte Erfolg: Die Hamburg-Mannheimer sagte in einem Vergleichsverfahren zu, die angegriffene Klausel nicht mehr zu verwenden.

Man habe kurz vor der Entscheidung der Bundesgerichtshofes Angst vor einem Grundsatzurteil gehabt, vermutet Edda Müller. Sie ist Chefin des VZBV, der auch gegen die Deutsche Telekom, Quelle, Jamba und jede Menge anderer Firmen vorgeht. Nach eigenen Angaben reicht VZBV jährlich 900 Klagen vor deutschen Gerichten ein und bekommt meistens Recht. In jedem zweiten Fall reagierten die Firmen sogar mit einer Unterlassungserklärung.

„Täglich wird 100.000fach gegen Verbrauchergesetze verstoßen“, sagt Müller. Der Grund: Es sei häufig lohnender, die Gesetze zu missachten, als sie zu respektieren. Das Problem dabei sei nicht, Recht zu haben, sondern es durchzusetzen.

Genau das ist die Aufgabe der Verbraucherzentrale. Denn in der Bundesrepublik können einzelne Verbraucher zwar gegen Firmen klagen, wenn sie ein Vertragsverhältnis mit ihnen haben. Gegen Werbe- und Marketing-Tricks, die dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb widersprechen, können Privatpersonen jedoch nicht vor Gericht ziehen. Der VZBV hingegen schon.

Das Problem dabei: Gerichtliche Verbote gelten nur für identische Fälle. So kann der Discounter Plus auch zukünftig für Bademäntel werben, die gesetzeswidrig nicht zwei ganze Tage vorgehalten werden, obwohl er wegen einer Werbeaktionen mit Dampfbügeleisen genau aus diesem Grund verurteilt wurde.

Auch das Prozesskostenrisiko kritisiert der Verband: Bisher zahlt er die Kosten einer Klage, wenn er verliert. Gewinnt er, gehen die zu zahlenden Ordnungsstrafen an die Staatskasse. Der Verband möchte daher, dass der Staat auch das Prozessrisiko trägt oder die Gewinne an den Verband fließen.

„Von Waffengleichheit kann keine Rede sein“, kritisiert Müller und fordert daher bessere Verbraucherschutzrechte: etwa im Bereich der Vertragsbindung. Denn bisher bleiben auch Verträge gültig, die durch illegale Marketing- oder Werbepraktiken entstanden sind – wie etwa alle Verträge, die Verbrauchern am Telefon aufgeschwatzt werden. Hier fordert der VZBV das Recht, die Verträge aufzulösen. Auch müssten Rechtsverstöße weitreichendere Konsequenzen haben – und zwar für alle Betroffenen. Zurzeit müssen alle geschädigten Verbraucher noch mal auf Schadenersatz klagen, auch wenn die Verbraucherzentrale in einem Präzedenzfall bereits Recht bekommen hat.

Wie viel Geld Kunden in Deutschland verlieren, weil gegen Verbrauchergesetze verstoßen wird, ist schwer zu errechnen. Das Ausmaß lässt sich aber durch Einzelfälle zeigen: Nach Angaben des VZBV hatte das Telekommunikations-Unternehmen O2 bei der Euro-Umstellung getrickst: Statt den Rechnungsbetrag auf Euro zu runden, sei das beim Minutenpreis geschehen, zusätzlicher Gewinn für O2: geschätzte 50 Millionen Euro. Diese illegalen Gewinne müssten abgeschöpft werden, fordern die Verbraucherschützer.

Allerdings ist die Forderung nach strengeren Gesetzen umstritten. „Schon heute haben wir eine Informationsflut“, sagt Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels. Der Wettbewerb unter den Unternehmen sorge für ausreichenden Verbraucherschutz. „Wir sehen keinen Handlungsbedarf.“