Unter Spannung

ENERGIE Berlin stimmt darüber ab, ob die Hauptstadt versuchen soll, ihr Stromnetz wieder selbst zu betreiben und ein Stadtwerk zu gründen. Es geht um mehr als um ein paar Kabel. Die Bürger stellen die Machtfrage

■ Berlin: Die Stadt könnte ihr Stromnetz wieder selbst betreiben, wie es München seit 1899 macht. Ende 2014 läuft Vattenfalls Lizenz zum Betrieb des Stromnetzes aus. Darum will sich die Stadt auf jeden Fall bewerben. Am Sonntag können die Berliner für das Modell des „Energietisches“ stimmen, das eine besonders demokratische, ökologische und soziale Ausrichtung verspricht.

■ Bundesweit: Das Wuppertal-Institut hat in einer kürzlich veröffentlichten Studie 72 seit 2005 gegründete Stadtwerke und Stromnetzübernahmen untersucht. 95 Prozent entfallen auf die alten Bundesländer, ein Viertel auf Baden-Württemberg.

■ Erfolg: Wichtige Ziele für die Kommunen sind lokale Wertschöpfung, eine Energiewende vor Ort oder eine größere Ausrichtung der Energieversorgung auf das Gemeinwohl. Dass sie erreicht werden, ist laut der Studie „sehr wahrscheinlich“. „Wahrscheinlich“ wird das Ziel erreicht, Einnahmen zu generieren oder Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen.

■ Mehr zur Abstimmung lesen Sie im Berlin-Teil ➤ SEITE 41, 44, 45

VON INGO ARZT
FOTO KARSTEN THIELKER

Die Leitungen, um die Senatoren, Aktivisten und ein Konzern seit Monaten kämpfen, sie laufen hier über die Wand. Das Gehirn des Berliner Stromnetzes ist ein ruhiger Ort. Ab und zu klingelt ein Telefon, Kaffee rauscht in eine Tasse. Auf einer Schalttafel in der Größe einer Kinoleinwand gibt es rund um die Uhr Liveberichterstattung von 35.000 Kilometern Stromkabeln, Umspannwerken, Trafokästen. Lichter blinken grün oder rot.

„Sie müssen Ihr Netz nicht nur kennen, Sie müssen es leben“, sagt Helmar Rendez, der Chef der Berliner Stromnetz GmbH, die dem schwedischen Konzern Vattenfall gehört.

Rendez, 51 Jahre, ist einer, der sich um Sachlichkeit bemüht. Kein Sprinter, sondern ein Dauerläufer, 3 Stunden 30 braucht er für einen Marathon. Zurzeit steht er unter Druck, als wäre er gerade auf den letzten Metern. Es läuft eine Kampagne in dieser Stadt gegen seine Firma. Von den Laternen fordern Plakate: „Vattenfall den Stecker ziehen“.

Dahinter steckt ein gewisser „Energietisch“. Ein Bündnis aus 56 Organisationen, darunter Attac oder der Bund für Umwelt und Naturschutz. SPD, Linke und Grüne unterstützen die Sache. Der Energietisch will die Schweden aus der Stadt vertreiben.

Baggerfahrer Bernhard in der Schaltzentrale

Gerade deshalb muss Rendez in der Schaltzentrale in Berlin-Schöneberg mit ganz besonders viel Verve vortragen, was für einen verdammt guten Job seine 150 Jungs da machen.

„Extrem cool“, seien die, auch wenn es mal Stress gebe. Wenn Baggerfahrer Bernhard mal ein Kabel durchtrennt und es – zapp – irgendwo duster wird. Baggerfahrer Bernhard ist bei Vattenfall das Sinnbild aller Störungen und davon hat Berlin bundesweit fast die wenigsten, das muss Rendez jetzt mal betonen: Im Schnitt fehlt jedem Berliner im Jahr genau 12 Minuten und 15 Sekunden die Energiezufuhr. „Ich bekomme jede einzelne Störung aufs Handy, Tag und Nacht“, sagt Helmar Rendez und fragt: „Wie kann man ein Netz konkret denn noch besser betreiben? Fragen Sie das doch mal den Herrn Taschner.“

Der Herr Taschner also. Stefan Taschner ist der Sprecher dieses Energietisches und ihn interessieren Ausfallbestzeiten deutlich weniger. Ihm geht es ums Grundsätzliche: um eine „soziale, demokratisch und ökologische Stromversorgung“.

„Vattenfall steht für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken, will bis 2040 Braunkohletagebau in der Lausitz betreiben. Mit dem Konzern schaffen wir die Energiewende in Berlin nicht“, sagt Taschner.

Womit wir schon beim Kern einer Geschichte wären, die fast noch verzweigter ist als das komplette Stromnetz.

Es treten auf: Vattenfall im Gewande von Helmar Rendez, Stefan Taschner als Gesicht des Energietisches, zwei Berliner Senatoren und eine Senatorin, die alle anders handeln würden, müssten sie nicht gemeinsam regieren. Eine der anderen Hauptrollen spielen schließlich, wie oft, wenn es um die Energiewende geht: die Bürgerin, der Bürger. An diesem Sonntag sollen sie über das Stromnetz abstimmen.

Überall in Deutschland formieren sich zurzeit Menschen, die in der Energiewende ein emanzipatorisches Projekt sehen. Ist man sonst nicht zum Konsumenten degradiert, der mit fast jedem Kauf ein globales Schweinesystem aus Umweltzerstörung und Kinderarbeit unterstützt? So kommt das vielen vor.

Doch am Horizont dämmert eine Utopie: lokales Essen und lokalen Strom selbst ernten, ohne Steinkohle und Öl und Atom von sonst woher und ohne das Geld an Konzerne zu überweisen, die es dazu nutzen, gewählten Politikern einzureden, es ginge für immer nicht ohne sie.

Die Energiewende ist insofern auch ein Gefühl. Das Gefühl, man stürme gerade auf die Bastille der alten Mächte. Sie ist die starke Sehnsucht einer Konsumgesellschaft, die gern ganz anders wäre, aber wenig konkrete Wege dahin sieht. Einer heißt jetzt: Vattenfall raus. Die Hamburger haben es bereits vorgemacht und in einer Abstimmung gegen Vattenfall gestimmt.

Ist das also ein rein ideologischer Streit? Nein, natürlich nicht. Es geht auch ums Geld.

Berlin ist mit seinem Vorhaben nicht alleine. Etliche Kommunen wollen ihr Stromnetz und oft auch ihr Gasnetz wieder selbst betreiben. Eine Art historische Korrektur: Konzerne kauften in den 90er-Jahren massenweise Energieinfrastruktur auf. Weil die meist über, auf oder unter öffentlichem Boden liegt, bekamen sie für 20 Jahre das Nutzungsrecht und entrichteten dafür etwas, das sich Konzessionsabgabe nennt. Vattenfall überweist 150 Millionen Euro im Jahr an Berlin.

Jetzt, wo die Konzessionsverträge auslaufen, nehmen viele Städte und Gemeinden die Sache wieder selbst in die Hand. Stromnetze gelten als Geldquelle und als Instrument, mit dem sich die Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten lässt. Seit 2005 haben mehr als 83 Kommunen ein Stadtwerk gegründet, etwa 200 Konzessionen von circa 20.000 gingen seit 2007 zurück in kommunale Hand.

Vattenfall gehört dem schwedischen Staat und ist hoch verschuldet. Wegen des Atomausstiegs haben die Schweden Deutschland vor einem internationalen Schiedsgericht auf 3,5 Milliarden Euro Schadenersatz verklagt. In der Lausitz rebellieren Anwohner gegen die Pläne des Konzerns, noch mehr Landstriche nach Braunkohle umzupflügen. Überall Gegenwind.

Mit fast 35.000 Kilometern Gesamtlänge und 2,39 Millionen Stromzählern ist das Berliner Netz das größte in Deutschland. Einer der wirklich profitablen Geschäftsbereiche des Konzerns droht wegzubrechen. Deshalb verteidigt Helmar Rendez, auch in Schweden für die Netze zuständig, die Herrschaft über seine Schaltpläne so engagiert.

Formal allerdings votieren die Bürgerinnen und Bürger Berlins am Sonntag nur über eine Gesetzesvorlage des Energietisches. Die Stadt wird darin verpflichtet, zwei Unternehmen zu gründen. Ein Stadtwerk, das erneuerbaren Strom erzeugt, und eines, das sich um den Betrieb des Stromnetzes bewirbt. Das muss getrennt sein, so will es die EU, damit nicht ein Netzbetreiber auch Kraftwerke besitzt – es wäre, als ob ein Spediteur die Straßen besäße. Im Stromnetz sollen alle Kraftwerke gleich behandelt werden. Netzbetreiber und Kraftwerksbesitzer können allerdings einem gemeinsamen Mutterkonzern gehören.

Berlin ist, wie alle Kommunen, gesetzlich verpflichtet, den Betrieb seines Netzes auszuschreiben. Will es sein Netz zurück, muss sich die Stadt bei sich selbst bewerben. Stadtentwicklungssenator Michael Müller, SPD, bewirbt sich bei Finanzsenator Ulrich Nußbaum, parteilos. Sollte Nußbaum Müller besser behandeln als Vattenfall, könnte sich der Konzern beim Bundeskartellamt beschweren.

Die Kriterien für einen Zuschlag dürfen nur wirtschaftlicher und technischer Natur sein – kann ein Bewerber das Netz betreiben und kann er es günstig? Am Ende könnte Vattenfall also einfach das bessere Angebot machen und weitere 20 Jahre im Geschäft bleiben. Oder das niederländische Energieunternehmen Alliander bekommt den Zuschlag, das sich ebenso beworben hat. Dann hätten die etwa 10.000 Plakate, die Stefan Taschner und seine 200 aktiven Mitstreiter in den vergangenen Wochen aufgehängt haben, überhaupt nichts gebracht.

Taschner, 43, ist der Sprecher des Energietisches. Oktober 2013, noch drei Wochen bis zu Abstimmung, Taschner ist am Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg flyern, Flugblätter verteilen, für den Volksentscheid. Der Platz beherbergt einen Spielplatz, gesäumt von vollsanierten Altbauten, in denen, so sagt man, Menschen wohnen, die Biokaffee trinken und über dieses globale Schweinesystem nachdenken.

Die meisten lehnen Taschners Flyer allerdings ab. Sie wissen ohnehin schon alles und werden für den Energietisch stimmen.

„Vattenfall steht für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken, will bis 2040 Braunkohletagebau in der Lausitz betreiben. Mit dem Konzern schaffen wir die Energiewende in Berlin nicht“

STEFAN TASCHNER, BERLINER „ENERGIETISCH“

Taschner trägt die langen Haare als Zopf, Ohrringe, neue, weinrote Stiefel und eine grüne Jacke gegen den Herbstwind. Er ist physischer Geograf, hat früher das Abschmelzen der Gletscher in den Alpen erforscht und fliegt nicht in den Urlaub, wegen der Emissionen. „Nach Marrakesch im Süden Marokkos schafft man es mit dem Zug in drei Tagen“, sagt er und: „Wir wollen ein Werkzeug in der Hand haben, um Klimaschutz zu betreiben.“ Das ist sein Antrieb.

Momentan allerdings eignet sich das Netz dazu kaum. Ein Stromnetzbetreiber muss Strom aus allen Kraftwerken durchleiten, egal ob er aus Solarzellen stammt oder lebendige Katzenbabys verheizt werden.

Aber, es gehe, so Taschner, um die Zukunft: Wer, bitte schön, baut beispielsweise die für die Energiewende so dringend benötigten intelligenten Netze – eine Art Energie-Internet? Die Technik wäre schon da, nur ist sie teuer. In einigen Jahren könnten viele kleine Kraftwerkchen in den Kellern und auf den Dächern vernetzt werden, zusammen mit Batterien und anderen Energiespeichern. Alles so smart, dass man auf Kohlekraftwerke verzichten kann. Ein privater Netzbetreiber wird das kaum machen, argumentiert Taschner, dem gehe es vor allem um die Rendite.

Nun ist es auch noch so, dass der Berliner Senat ohnehin bereits ein Gesetz verabschiedet hat, nach dem die Stadt sich um das Stromnetz bewirbt.

Das Konzept des Energietisches unterscheidet sich in einem Punkt aber radikal. Es ist ein Demokratie-Experiment. Die Bürger und die Mitarbeiter der beiden zu gründenden Unternehmen sollen Vertreter in einen Verwaltungsrat wählen, der die Unternehmen kontrolliert, die Manager bestellt, die Einhaltung der ökologischen und sozialen Ausrichtung des Unternehmens überprüft. Energieversorgung soll zum Allgemeingut werden.

Öffentlich-rechtlich, eine Art ARD für Strom

Die Politik würde gerade mal 2 von 15 Mitgliedern des Verwaltungsrates stellen, der Senat lediglich über Budgetfragen entscheiden. Funktionieren würde das alles als Anstalt des öffentlichen Rechts, ähnlich wie ARD und ZDF. Im Energiebereich hat das noch niemand probiert. Es wäre ein Novum.

Berlin soll also laut Senat sein Stromnetz übernehmen, laut Energietisch auch, nur unter direkter Kontrolle der Bürger. Vattenfall will, dass beide scheitern.

Es ergeben sich aus dieser Konstellation drei Fragen: Braucht man ein Stadtwerk und ein kommunales Netz für die Energiewende? Kann Berlin das technisch? Und: Rechnet sich das wirklich?

Nein, sagt die Berliner Wirtschaft. 16 Institutionen stemmen sich im „Faktenbündnis Stromentscheid“ gegen jede Art von kommunalem Netz, egal nach welchem Konzept. Bauindustrieverband, der Bund der Steuerzahler, die Industrie- und Handelskammer Berlin, deren Hauptgeschäftsführer fragt: „Kennt eigentlich jemand die genaue Zahl von Stadtwerken in der Republik, die aufgrund der diffusen Lage im Energiemarkt kurz vor der Pleite stehen?“

Die Frage ist berechtigt. Und die Antwort lautet: Nein, die Zahl kennt niemand. Tatsächlich beklagt der Lobbyverband der Stadtwerke, der Verband kommunaler Unternehmen, dass viele Städte, vor allem im Ruhrgebiet, gerade keinen Gewinn aus ihren Stadtwerken ziehen oder sogar draufzahlen müssen.

Private Großkonzerne wie Eon oder RWE jammern allerdings genauso. Wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien gibt es ein solches Überangebot an Strom, dass sich nur alte, refinanzierte Braunkohlekraftwerke rechnen oder eben erneuerbare Energien mit ihrer festen Einspeisevergütung. Viele Stadtwerke und Energiekonzerne haben auf Geheiß der Politik hin in neue, effiziente Gaskraftwerke investiert, die momentan Verlust machen. Das ist also kein Beweis, dass Stadtwerke schlechter wirtschaften. Das Konzept des Energietisches sieht vor, Windmühlen und Solarzellen in Brandenburg zu bauen und in Berlin da, wo Platz ist.

Das mit Abstand meiste Geld würde die Stadt aber ohnehin in das Stromnetz investieren. Vattenfall wäre gesetzlich verpflichtet, es an die Stadt zu verkaufen oder zu verpachten, sollte der Konzern die Konzession verlieren, die Ende 2014 ausläuft. Wie teuer es ist, daran scheiden sich die Geister. 500 Millionen, wie der Energietisch sagt? 1,5 bis 2 Milliarden, wie der Senat behauptet? Wie hoch wäre das finanzielle Risiko Berlins? Die Stadt ist schon mit 63 Milliarden Euro verschuldet.

Momentan bekommt Berlin Konzessionsabgaben von Vattenfall. Es könnte mehr sein, wenn die Stadt übernimmt, sagt der Energietisch. Wer in Deutschland ein Stromnetz betreibt, bekommt staatlich garantiert eine feste Rendite, 7 bis 9 Prozent. Kosten für den Betrieb des Netzes und nötige Investitionen dürfen auf die Stromkunden umgelegt werden. Ebenso – und das ist entscheidend – die Zinsen, die Berlin für einen Kredit zahlen müsste, um das Netz zu kaufen. Sofern diese Zinsen „marktüblich“ sind und der Kaufpreis nicht überhöht ist.

Das Risiko scheint auf lange Sicht überschaubar. Wenn man es jetzt eingeht, was ja auch der Senat will, warum müssen dann unbedingt Bürger die Sache kontrollieren?

Stefan Taschner, der in einer Fabriketage in Berlin-Prenzlauer Berg residiert und seit zweieinhalb Jahren für den Volksentscheid kämpft, sagt dazu zweierlei: dass eben der Berliner Senat bei der Kontrolle des Flughafens komplett versagt habe – deshalb die direkte Bürgerbeteiligung bei Stadtwerk und Stromnetz. Und er sagt, dass es der Senat nicht ernst meine mit dem Stadtwerk und der Netzübernahme.

Verantwortlich sind Cornelia Yzer, die Wirtschaftssenatorin der CDU. Und ihr Gegenspieler Stadtentwicklungssenator Michael Müller, SPD.

■ Die Lage: Berlin könnte sein Stromnetz wieder selbst betreiben, wie es München seit 1899 oder Marburg seit 1906 mit Gewinn tun. Am 1. Januar 2015 läuft Vattenfalls Lizenz zum Betrieb des Hauptstadt-Stromnetzes aus.

■ Die Abstimmung: Die Berliner entscheiden am Sonntag, wie die Stadt das Stromnetz betreiben soll, wenn sie die Ausschreibung darum gewinnt. Sie stimmen über die Gesetzesvorlage des „Energietisches“ ab, einer Initiative von 56 Organisationen.

■ Das Gesetz: Unabhängig von der Übernahme des Stromnetzes soll ein Stadtwerk gegründet werden, das ökologischen Strom erzeugt und durch Beratung und Programme den Energieverbrauch der Stadt senkt.

■ Die Gegner: Der Berliner Senat ist gegen das Gesetz, weil die Kontrolleure der neuen Betriebe direkt vom Volk gewählt werden sollen. Er sorgte deshalb dafür, dass die Abstimmung nicht parallel zur Bundestagswahl stattfand. Das hätte die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die benötigten rund 621.000 Ja-Stimmen zusammenkommen.

Von Müllers Büro aus betrachtet sieht Berlin aus wie bei Google Maps. Der Stadtentwicklungssenator schwebt fast über seinem Arbeitsgebiet, nur reinklicken geht nicht. 14. Stock, Potsdamer Platz am Horizont. Müller ist 48, schlank, trägt kurzes Haar, sein blütenweißes Hemd und seine randlose Brille geben ihm etwas Bankerhaftes, Korrektes. Er war SPD-Landesvorsitzender und galt als potenzieller Nachfolger von Klaus Wowereit. Er will das Stadtwerk wirklich, beteuert er. Ernsthaft.

„Im Anspruch sind wir uns sehr nah, der Energietisch und ich. Wir wollen, dass öffentliche Daseinsvorsorge auch öffentlich kontrolliert wird. Wir haben nur Differenzen in der Umsetzung“, sagt Michael Müller – das war, bevor die weitaus kritischere Yzer die Kontrolle übernahm.

Und was haben Sie dagegen, dass direkt gewählte Bürger die Geschäftsführung ihres Stromnetzes kontrollieren? „Wir kommen sehr schnell in eine Schieflage, wenn es ein landeseigenes Unternehmen geben soll, für das alle Steuerzahler finanziell haften, aber nur einige wenige in einem Kontrollgremium sitzen, ohne zu haften.“ Es gebe viele städtische Betriebe, wie die Stadtreinigung BSR, die hervorragend gemanagt würden.

In der Schaltzentrale von Vattenfall lässt einer von Helmar Rendez’ Mitarbeitern spaßeshalber in einer Straße den Strom ausfallen. Reine Simulation. Früher wäre es auch anderswo dunkel geworden, aber die neuen Trafostationen überall verhindern das, sagt der Mann mit dem Lenin-Bart. Staatliche Grundversorgung fände er toll. Nur schafft dieser Senat das?

Die Senatorin will das alles eigentlich gar nicht

Cornelia Yzer hat nicht viel Blick auf die Stadt von ihrem Büro. Gerade mal vierter Stock. Die CDU-Wirtschaftssenatorin denkt ganz anders als Michael Müller und Stefan Taschner: „Ich bin nicht auf dem Ideologie-Trip. Für mich ist die entscheidende Frage: Gibt es handfeste Belege und Zahlen, dass die öffentliche Hand Netze und Kraftwerke besser betreiben kann als private Unternehmen, und zwar zugunsten des Verbrauchers? In diesem Fall sehe ich die nicht.“ Das klingt nicht, als ob Yzer trauern würde, wenn die Stadt das Netz nicht bekommt. Taschners Misstrauen in den Senat ist durchaus angebracht.

Mit ihrer Haltung hat Yzer der SPD einen Kompromiss abgetrotzt: Die Stadt wird sich zwar – unabhängig vom Volksentscheid – um das Netz bewerben, für das Stadtwerk gibt es aber zunächst nur 1,5 Millionen Euro im Jahr. Dafür sollen ein paar Windmühlen in Brandenburg errichtet werden. Yzer spricht eher von einem Versuch. Ein Stadtwerkchen sozusagen. Und seit vergangener Woche steht auch noch fest: Das Stadtwerk soll nach Plänen des Senats den Wasserbetrieben unterstellt werden – und damit der Senatorin, die sich eigentlich gegen ein Stadtwerk ausspricht.

Die ökologischen Ziele des Energietisches verfolge auch der Senat, nur, bitte schön, keine direkt gewählten Bürger in Aufsichtsgremien, sagt Yzer. „Ein Stadtwerk müsste sich in einem Kreis von 200 Energieanbietern behaupten. Es bedeutet erhebliche Investitionen. Das darf öffentlicher Kontrolle nicht entzogen werden“, sagt Yzer. Mit öffentlich meint sie: den Senat.

Worin ausnahmsweise alle einig sind: Sowohl das Konzept des Senats als auch des Energietisches sieht vor, die Mitarbeiter zu übernehmen, sollte Berlin das Netz bekommen. Womit die letzte Frage beantwortet wäre: Technisch wäre die Stadt natürlich in der Lage, das Netz zu betreiben, wenn sie die richtigen Leute hat. Vielleicht wäre sogar irgendwo Platz für Helmar Rendez.

Ingo Arzt, 35, ist taz-Redakteur für Energie und Umwelt

Karsten Thielker, 46, ist freier Fotograf in Berlin