Der coole Kinderladen

Bei „Border Games Kreuzberg“ können Jugendliche am Kottbusser Tor gemeinsam mit der spanischen Medienaktivistengruppe La Fiembrera Obrera ihr eigenes Computerspiel entwickeln

von MAGDALENA TAUBE

Vor einem der Hochhäuser am Kottbusser Tor steht ein Schild, das sich von den normalen Werbetafeln abhebt. „Border Games Kreuzberg“ steht da in großen schwarzen Buchstaben auf gelbem Grund. Und: „Komm vorbei. Heute von 15–18 Uhr!“ Der Pfeil auf dem Schild führt zu einem Ladenlokal in einer Nebenstraße. Dort ist das Schaufenster mit schwarz-gelben Absperrbändern verklebt, dazu in überdimensionalen Lettern die Aufschrift: „Border Games“. Drinnen steht ein kleiner Holzpavillon, auf dem Boden sind Kissen, Stifte und bunte Blätter verteilt. Dazwischen überall Schalen voll Bonbons und Chips. Das sieht auf den ersten Blick alles nach Kinderladen aus, stünden nicht im ganzen Raum auch noch Laptops herum. Gibt es jetzt schon Internetcafés für Kinder? Unter dem Pavillon haben es sich drei Jungs gemütlich gemacht und zocken begeistert irgendein PC-Spiel. Jordi Claramonte i Arrufat, vom spanischen Künstlerkollektiv La Fiambrera Obrera, sitzt neben den Kids und erklärt ihnen, wie das Spiel funktioniert.

Jordi hat schwarze Wuschelhaare und trägt eine Brille. Mit seinen Jeans und Turnschuhen sieht der 37-Jährige fast aus wie die spanische Version von Peter Lustig. Er leitet den Workshop, der hier jeden Nachmittag stattfindet. Dabei soll ein Computerspiel entstehen, in dem sich alles um den „Kotti“ und seine Bewohner dreht: das „Border Games Kreuzberg“. Die Kinder können das Spiel selbst gestalten, von den Charakteren über die Geschichten bis hin zum Design. Jordi hat einige Erfahrungen mit solchen Projekten, als unabhängiger Streetworker und Medienaktivist war er in sozialen Brennpunkten von Madrid bis Tijuana unterwegs.

Die Idee zu „Border Games“ kam ihm allerdings in Los Angeles. „Als wir vor zwei Jahren in L.A. waren“, erzählt Jordi, „und die wahnsinnigen Geschichten der jungen Einwanderer aus El Salvador oder Mexiko hörten, dachten wir, dass man diese Geschichten irgendwie erzählen müsste. Den Jugendlichen gefiel die Idee mit dem Computerspiel einfach am besten.“ Zurück in Madrid, entwickelte La Fiambrera Obrera jungen Migranten einen digitalen Werkzeugkasten, der es Jugendlichen ermöglichen soll, ihr eigenes Spiel zu gestalten. Daraus entstand „Border Games Lavapiés“ – ein Spiel, bei dem man versuchen muss, in dem Madrider Einwandererviertel Lavapiés zu überleben. Das Architektur-Büro „Raumlabor“ fand dieses Projekt so gut, dass sie die Künstlergruppe nun im Rahmen vom „Dolmusch Xpress“ nach Kreuzberg einlud.

Nach und nach finden immer mehr neugierige Jugendliche den Weg in den Laden. Emre ist einer davon und will wissen: „Was sollen wir hier eigentlich machen?“ Jordi erklärt, worum es bei „Border Games“ geht. Die Idee, ein Videospiel zu gestalten, kommt gut an. Aber welche Geschichten und Leute sollen darin vorkommen? Emre hat sofort ein paar Vorschläge. „Es muss darum gehen, dass man die ganzen Dealer wegmacht“, meint er, „vor denen haben wir richtig Angst! Und außerdem muss Fußball drin sein.“ Fußball – da stimmen die anderen eifrig zu. Ein Anfang ist gemacht. Schließlich ziehen die Jungs mit Jordi zusammen los, um Fotos von sich selbst und der Nachbarschaft zu machen, die später ins Spiel kommen.

Am dritten Tag ist der „Border Games“-Laden voll von Kindern, die in kleinen Gruppen an verschiedenen Sachen arbeiten. Emre und seine Freunde klicken sich durch Fotos, und Jordi zeigt ihnen, wie sie aus den Bildern vom Junkie oder von Touristen Charaktere des Spiels machen können. Nebenbei muss er auf Achmed aufpassen, der heute neu beim Workshop ist. Der kleine Junge kommt kaum an die Tastatur ran, tippt aber unermüdlich an seiner Geschichte, die sich um einen Mann dreht, der alle erschießt. Auch mehrere Mädchengruppen sind inzwischen dazugekommen. Einige von ihnen haben sich vor dem Laden ausgebreitet und fertigen Zeichnungen an. Andere wiederum filmen mit einer Videokamera auf dem Spielplatz.

Gegen 18 Uhr müssen die meisten Kinder nach Hause. Bevor sie gehen, rufen sie Jordi und den anderen zu: „Dankeschön. Und bis morgen!“ Nur Emre will noch wissen: „Wie viele Monate bleibt ihr eigentlich hier?“ Jordi muss lachen, so viel Zeit haben sie leider nicht. Ende der Woche soll die erste Version von „Border Games Kreuzberg“ schon zum Herunterladen ins Internet gestellt werden. Doch auch wenn die Leute von La Fiambrera Obrera nicht mehr da sind, können Achmed, Emre und ihre Freunde das Spiel immer weiter verändern und ausbauen. Das Werkzeug kennen sie jetzt, die nötigen Skills werden sie bis dahin bestimmt drauf haben. Dennoch sehen die Jungs ein bisschen traurig aus, als sie hören, dass es den coolen Kinderladen nur für so kurze Zeit gibt.

Bis 12. 5., tägl. 15–18 Uhr, Adalbertstraße 4