Hessen setzt Bezahlstudium gegen Verfassung durch

Kabinett beschließt Studiengebühren ab kommendem Jahr – trotz juristischer Bedenken. Studierende kündigen juristische Klagen und Proteste an

Die hessische Landesregierung wird Studiengebühren einzuführen – obwohl die Verfassung das eigentlich nicht erlaubt. Vergangenen Freitag hat das Kabinett unter Ministerpräsident Roland Koch (CDU) beschlossen, ab dem Wintersemester 2007/2008 von den Studierenden 500 Euro pro Semester zu kassieren. Dabei steht in der Landesverfassung, dass der Unterricht an Hochschulen unentgeltlich sein soll (siehe Kasten).

Der Gesetzestext lässt jedoch ein kleines Schlupfloch für die Einführung des Bezahlstudiums offen – in Ausnahmefällen können die Unis Gebühren bis 1.500 Euro verlangen. Ob der jetzige Beschluss Hessens rechtens ist, daran scheiden sich die juristischen Geister.

Die Landesregierung beruft sich auf ein Gutachten, das sie bei dem Berliner Staats- und Verwaltungsrechtler Christian Graf von Pestalozza in Auftrag gegeben hatte. Dem Gutachten zufolge sei die Einführung von Studiengebühren im „Einklang mit der hessischen Landesverfassung, wenn sie sozialverträglich geregelt ist“. Für Pestalozza heißt dies: Studiengebühren sind erlaubt, solange sie in Verbindung mit einem Finanzierungssystem für sozial schwächere Studenten eingeführt würden – zum Beispiel einem Darlehensmodell. In diesem Fall würden die Studiengebühren nicht die wirtschaftliche Situation während, sondern nur nach dem Studium beeinträchtigen. Das hessische Kabinett sieht dafür eine Kreditlösung vor: Die Studierenden müssen das geliehene Geld erst dann zurückzahlen, wenn sie genügend verdienen.

Der Verfassungsrechtler Arndt Schmehl widerspricht seinem Kollegen Pestalozza trotzdem. Seiner Einschätzung nach gäbe es selbst mit den angebotenen Darlehen keine ausreichende Grundlage zur Einführung von Studiengebühren in Hessen. „Die Kreditlösung ist nicht ausreichend, um die soziale Ausgewogenheit zu garantieren“, sagte er der taz. Die hessische Landesverfassung ließe daher nur Gebühren für den „besser verdienenden Teil“ der Studierenden zu. „Unterschiedslos eine Gebühr zu verlangen geht dagegen nicht“, sagte Schmehl.

Die Studierenden wollen die mögliche Einführung von Studiengebühren noch verhindern und im Sommersemester politisch und juristisch dagegen ankämpfen. „Wir werden die Landesregierung mit Verfassungsklagen vor dem hessischen Staatsgerichtshof überziehen. Wir sind guter Dinge, dass diese Klagen Erfolg haben werden“, so Umut Sönmez, der Asta-Hochschulreferent der Uni Gießen.

In ihrem Widerstand werden die Studis unterstützt von der GEW Hessen, deren Vorsitzender Jochen Nagel feststellt: „Die CDU-Landesregierung will die soziale Benachteiligung weiter verschärfen und nimmt dafür auch den Bruch der hessischen Verfassung in Kauf.“

Ebenso stellt sich die SPD-Landtagsfraktion auf die Seite der StudentInnen. Michael Siebel, Hochschulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, stellt klar, im Falle eines Gesetzesbeschlusses im Landtag möchte man eine Klärung durch den Staatsgerichtshof herbeiführen.

Sollte sich vor Gericht Schmehls Ansicht durchsetzen, müsste die hessische Landesregierung zur Einführung von Studiengebühren eine Volksabstimmung durchführen lassen. Denn um die Verfassung des Landes Hessen ändern zu können, ist die Mehrheit im Landtag und bei einer Volksabstimmung nötig. Zum ersten Mal könnte dann die Bevölkerung eines Bundeslandes ihre Stimme zu Studiengebühren abgeben.

Der hessische Wissenschaftsminister Udo Corts freut sich indes bereits auf satte Mehreinnahmen. Er rechnet vor, dass die Campus-Maut seinen Unis insgesamt 135 Millionen zusätzliche Mittel beschaffen würde. „Die Studienbeiträge kommen den Hochschulen zugute, und zwar zusätzlich zur staatlichen Finanzierung“, sagte Corts. Die hessischen Asten bezweifeln das. Spätestens nach dem Auslaufen des Hochschulpakts würden die Länder die Hochschulen nicht mehr finanzieren. F. HOLLENBACH