Die rockende Dörrpflaume

Allein die Möglichkeit, dass Keith Richards einmal nicht mehr unter uns sein könnte, lässt viele erschrecken. Dabei ist der Mann mit dem verwitterten „Rock-’n’-Roll-Kampfkörper“ längst unsterblich

VON KIRSTEN REINHARDT

Keith Richards’ Palmensturz auf Fidschi sorgte in der letzten Woche für Erheiterung. Man kann sich das gut vorstellen: Ron Wood und Keith Richards am Strand, barfuß beim Piratenspielen. Heiseres Lachen, Rum. Richards erklimmt mit wehendem Bandana eine Palme und säbelt mit seinem Messer an einer Kokosnuss herum.

Aber dann war’s plötzlich nicht mehr witzig. Fünf Meter tief der Sturz, doch aus dem Rockstarhimmel fällt man tiefer.

Verletzlichkeit ist ein Wort, das nicht zu Keith Richards passt und in diesem Zusammenhang ein bisschen stärker berührt. Wenn es einen wie Keith treffen kann, was ist dann erst mit uns?!

Am Montag wurde er in einer Klinik im neuseeländischen Auckland operiert, und das Feuilleton dachte schon mal über einen Nachruf nach. Für alle Fälle – für die Schublade – wer weiß? Mit so einem Blutgerinnsel ist nicht zu spaßen. Dabei ist Keith Richards unsterblich. Ein zäher Hund. Er tut das Unmögliche und lebt – nach langjähriger Heroinabhängigkeit, nach Alkoholexzessen und Kettenrauchen.

Unglaublich, was Zeit, Drogen und Musik aus diesem schmächtigen britischen Jungen mit dem spitzen Gesicht gemacht haben, der Keith Richards Anfang der 60er-Jahre war. 1943 geboren, sang er zunächst im Knabenchor und gründete mit Mick Jagger und Brian Jones die Rolling Stones. Der Rest ist Geschichte, und die Großväter des Rock sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, heißt es zumindest alle paar Jahre, wenn sie auf Tour gehen. Aber Keith, der ist immer noch, was er war. Oder besser – was er geworden ist.

Er war schon immer der Lässigere. Während Mick mit engen Höschen Marathon auf der Bühne lief, stand Keith mit seiner Rhythmusgitarre in der Ecke, eine Zigarette zwischen den Zähnen, und schrubbte seine Riffs runter. 44 Jahre lang. Bis aus seinem unterernährten Gossenjungengesicht eine knittrig-weise Indianervisage geworden war. Sein Körper, eine rockende Dörrpflaume.

62 Jahre ist er jetzt alt – nicht nur sein Gesicht ist gezeichnet, auch er selbst hat viele Spuren hinterlassen: Ohne ihn hätte es Guns-N’-Roses-Gitarrist Slash so nie gegeben. Die stoische „Fluppe lugt durch Lockenmähne“-Pose hat er sich bei Keith abgeguckt.

Auch Johnny Depps Verkörperung des Käpten Jack Sparrow in dem Film „Fluch der Karibik“ ist eine Hommage an den schwankenden Gang und die fahrige Gestik von Keith Richards. Den Piratenlook mit klackernden Silberringen an den Fingern, die engen Jeans in abgelatschten Stiefeletten und abgerissenen Bändern um den Kopf trägt dieser seit 30 Jahren auf der Bühne. Er hielt es nie für nötig, seinen Keith-Körper zu restaurieren.

Keith könne nicht besonders Gitarre spielen, kritteln Musikexperten bisweilen hämisch. Ein Keith-Riff mag simpel sein – aber es ist charakteristisch für den Sound der Stones.

Die besten, weil dreckigsten Stones-Stücke sind die, auf denen Keith mit Schmirgelstimme singen darf. 1969 debütierte er auf „Let it bleed“. Schön krächzig-schräg ist auch sein „Happy“ auf „Exile on Main Street (1972). Besser röcheln kann nur Bob Dylan.

Der Unfall von Keith Richards ist eine Mahnung an die eigene Endlichkeit. Und beweist gleichzeitig erneut seine ausgesprochene Zähigkeit – die Tour soll im Sommer stattfinden wie geplant. Schon 1965 überlebte er einen Stromschlag auf der Bühne, und in einem Spiegel-Interview im August 2005 resümierte er einen Heroinentzug, vier gebrochene Rippen, zwei lädierte Lungen und viele gebrochene Finger und Zehen: „Ich habe einen echten Rock-’n’-Roll-Kampfkörper, deshalb heilt alles in Rekordzeit.“