„Höfliche Nichtbeachtung“

VORTRAG Der Ethnologe Norbert Cyrus spricht über Unsichtbarkeits-Strategien von Einwanderern

■ 53, Ethnologe, hat über Wanderarbeiter in Westafrika geforscht. Seit 2008 am Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS). Foto: Bodo Dretzke

taz: Herr Cyrus, in welchen Situationen machen sich Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere unsichtbar?

Norbert Cyrus: Überall, wo sie Gefahr laufen, entdeckt, festgehalten und bestraft zu werden.

Von wem genau droht Gefahr?

Von allen, die von Berufs wegen die Einwanderungsbestimmungen durchsetzen müssen: Grenzschutz, Polizei und Beamte, die Zugänge zu bestimmten sozialen Leistungen kontrollieren.

Normal durch die Stadt zu laufen, ist also nicht das Problem.

Nein. Und auf dieses Phänomen möchte ich in meinem Vortrag aus soziologischer Perspektive hinweisen: dass es bemerkenswert ist, dass sich irreguläre Migranten in vielen Situationen relativ frei bewegen können. Das bedeutet nämlich, dass sie gelernt haben, darauf zu vertrauen, dass in bestimmten Bereichen die Wachposten wegsehen.

Nämlich?

Zum Beispiel dort, wo die Menschen im öffentlichen Raum in ihrer Rolle als Käufer, Verkehrsteilnehmer, Benutzer von Bus und Bahn in Erscheinung treten und der Aufenthaltsstatus keine Rolle spielt. Hier können sich die irregulären Migranten darauf verlassen, dass sie nicht beachtet werden, solange sie sich anpassen und nicht auffällig werden. und damit uninteressant für die erwähnten Wachposten bleiben.

Diese Wachposten sind das eine. Wie verhält sich das Gros der Mehrheitsgesellschaft?

Das kommt diesen Menschen im Allgemeinen durch kooperative, höfliche Nichtbeachtung entgegen, die Aufenthalt und Interaktion ermöglicht.

Angst vor Denunziation haben diese irregulären Migranten nicht?

Doch, und sie existiert auch innerhalb der eigenen Community. Das wird daran deutlich, dass die Menschen auch gegenüber ihren Landsleuten so tun, als ob sie einen Aufenthaltsstatus hätten, um nicht das Risiko der Erpressbarkeit einzugehen. Bei meinen Forschungen in einer afrikanischen Community in Hamburg wurde mir immer wieder gesagt, dass man über das Thema nicht offen spricht. Manchmal kommt erst in einem Notfall heraus, dass ein Bekannter gar keinen Aufenthaltsstatus hat. Man vertraut sich nur den besten Freunden an.

Kommt es denn zu Denunziation?

Kaum. Es ist vor allem die Angst. INTERVIEW: PS

Vortrag „Unsichtbare Minderheit – Status und Rechte irregulärer Migranten“: 20 Uhr, Hamburger Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36