In der Ägäis weht jetzt ein anderer Wind

TÜRKEI/GRIECHENLAND Vielversprechende Atmosphäre: Nach der ersten gemeinsamen Kabinettssitzung der beiden Länder in Athen sprechen Erdogan und Papandreou von einer Friedensdividende zu beider Nutzen

ISTANBUL taz | „Wind des Friedens“ in der Ägäis titelte gestern die griechische Tageszeitung Adesmeftos, und ihr Pendant Hürriyet stellte ein Bild auf die Titelseite, auf dem der greise Mikis Theodorakis den türkischen Ministerpräsident Tayyip Erdogan und seinen griechischen Gastgeber Georgios Papandreou an den Händen hält und gleichsam symbolisch zu neuen Ufern führt. Das ist denn auch die Botschaft, die der Besuch Erdogans am Freitag und Samstag in Athen an Griechen, Türken und in die Welt sendet: Wir eröffnen ein neues Kapitel in unseren Beziehungen. Die Zeit des Hasses, der Angst voreinander und des geradezu obsessiven Misstrauens ist vorbei, wir suchen jetzt nach konstruktiven Lösungen.

Unterstrichen wurde diese Absicht mit 22 Einzelabkommen, vom Tourismus über Umweltschutz bis zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik. Das Handelsvolumen soll von jetzt 2,5 auf 5 Milliarden Euro gesteigert werden, mehr als 100 Unternehmer begleiteten Erdogan nach Athen, um neue Geschäftskontakte zu knüpfen. Die Griechen können ein solches Interesse gut gebrauchen. Abgestraft vom internationalen Kapitalmarkt und misstrauisch beäugt von den übrigen EU-Ländern, freute man sich ganz besonders, dass die Nachbarn aus dem Osten bereit sind, Solidarität zu zeigen.

So redeten Erdogan wie Papandreou schon von der Friedensdividende, die die neue Freundschaft einbringen soll. Rund 4 Prozent ihres Bruttosozialprodukts haben die Griechen jahrelang für ihre Rüstung gegen die Türkei ausgegeben, selbst im jetzigen Haushalt sind noch 2,8 Prozent eingeplant. Auch ein großer Teil der türkischen Armee ist immer noch in der Ägäis stationiert. Papandreou und Erdogan sprachen denn auch beide davon, dass das Geld besser für Bildung und Gesundheit ausgegeben werden sollte.

Trotzdem gab es in den wichtigsten Fragen, den Gebietsstreitigkeiten in der Ägäis und einer Lösung des Zypern-Problems, noch keine konkreten Ergebnisse. Auf einer ersten gemeinsamen Kabinettssitzung wurde aber die Einrichtung eines ständigen Hohen Kooperationsrates beschlossen, der nun die konkreten Verhandlungen ausrichten soll. Die Außenminister wollen sich künftig mindestens zweimal, die Regierungschefs einmal im Jahr zu einem Gipfel treffen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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