Purer Pragmatismus

AUSGETRICKST Schalke übertölpelt spielbestimmende Berliner mit effizientem Verwaltungsfußball und siegt auf des Gegners Platz mit 2:0 Toren

BERLIN taz | Es war in der zweiten Minute der Nachspielzeit, als Ronny Heberson Furtado de Araújo für etwas Gerechtigkeit hätte sorgen können. Ronny, wie er kurz gerufen wird, hätte den Freistoß einfach versenken – und zum Ausgleich treffen können.

Es kam anders. Schalke-Keeper Timo Hildebrand parierte Ronnys Schuss glänzend. Mit einem Abschlag leitete der Keeper kurz darauf einen Konter ein. Der Ball kam zu Julian Draxler – der schlug einen Haken, schoss überlegt ins rechte untere Toreck und schloss zum 2:0-Endstand ab. Schalke hatte sich vorerst aus der Krise geschossen. „Von außen wurde ja richtig Unruhe reingetragen, deshalb sind wir froh, dass wir uns dagegen gestemmt haben“, sagte Schalke-Trainer Jens Keller nach dem abgezockten Auswärtssieg bei Hertha BSC Berlin am Samstag. „Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie bereit ist, um jeden Ball zu kämpfen.“ Den wichtigeren Satz sagte Keller danach: „Wir können auch aus unserer Defensivleistung viel Kraft schöpfen.“ Bis dato hatte man mit 22 Gegentreffern in 10 Spielen die drittschlechteste Abwehr der Liga. Mit Glück und mit stark verbesserter Viererkette blieb man gegen die Berliner, die mehr Ballbesitz hatten und auch feldüberlegen waren, ohne Gegentor.

Einen nicht unwesentlichen Anteil daran hatte Timo Hildebrand. Hildebrand sicherte seinem Team zum ersten Mal seit sechs Partien ein Zu-null-Spiel. Es war gleichzeitig für ihn selbst das 100. Spiel ohne Gegentreffer in der Bundesliga. „Das habe ich nicht geschenkt bekommen“, sagte er. Auch der zweite Schalker Erfolgsgarant machte in der Nachspielzeit auf sich aufmerksam: Draxler, der seine Formkrise abzulegen scheint. Er symbolisierte dabei das überlegte, effiziente Spiel der Schalker. Während die Hertha ein extrem aufwändiges, schnelles Kombinationsspiel bis zum Sechzehner passabel vortrug, zeigten die Schalker mit dem durchs Mittelfeld marschierenden Draxler pragmatischen Ergebnisfußball.

Den Weg zum Erfolg ebneten die Berliner dabei den Schalkern mit einem Eckball-Geschenk selbst: Adam Szalai durfte gegen einen orientierungslosen Thomas Kraft zum 0:1 in der 28. Minute einköpfen. Die Verhältnisse sind nun insofern wieder geradegerückt, als Schalke vor den Herthanern auf Rang sechs steht und Platz drei nicht mehr arg so weit weg ist. Schalke belegte nachdrücklich, welche Unterschiede zwischen einer Spitzenmannschaft, die sich gerade aus einer kleinen Krise herausarbeitet, und einem ambitioniertem Aufsteiger bestehen, der weite Teile des Spiels mit knapp 60 Prozent Ballbesitz dominierte.

„Wie schon beim 0:1 gegen Stuttgart hatten wir die besseren Chancen. Aber auch diesmal war es wieder eine unglückliche Heimniederlage“, erklärte Hertha-Kapitän Fabian Lustenberger. Nicht nur sportlich zeigt sich Hertha übrigens derzeit auf Augenhöhe mit den Großen, auch was den Publikumszuspruch betrifft: Nachdem am Samstag 69.277 Zuschauer kamen, hat man den viertbesten Ligaschnitt hinter Dortmund, Bayern und Schalke.

Für Schalke war es genau jene Art des Verwaltungsfußballs, den sie in der Bundesliga brauchen werden, wenn sie möglichst lange an allen drei Wettbewerben teilnehmen und sich gleichzeitig die Chancen auf die direkte Champions-League-Qualifikation bewahren wollen. JENS UTHOFF