Vom Riesensandmann zum Reverend

Als Urvater des Arizona-Wüstenklangs wildert Howe Gelb auch gerne mal in anderen musikalischen Genres. Für sein Konzert in der Passionskirche hatte er sich neben der Pedal-Steel-Gitarre einen groovenden und swingenden Gospelchor mitgebracht, der das Publikum zu ekstatischen Tänzen animierte

von IMKE STAATS

Den Freunden der alternativen, americano-folkigen Rockmusik wird zurzeit das letzte karierte Hemd ausgezogen. Kaum sind Calexico verklungen, ist auch schon Neko Case – die sexiest Folk-Rock-Singer/Songwriterin alive – im Anmarsch; und zwischendurch verteidigte Howe Gelb als Urvater des Arizona-Wüstenklangs – und als Ziehvater von Calexico – seine Position. Der Mann, dessen amöbenhafte Musikteams in den vergangenen 20 Jahren mal Giant Sandworm, Giant Sand, mal The Band of Blacky Ranchette, dann wieder OP8 und wer weiß wie noch hießen, kam schlicht unter seinem Namen Howe Gelb ins Mittelschiff der Kreuzberger Passionskirche. Und das passenderweise in Begleitung eines Gospelchors: The Voices of Praise heißen die neun Damen und Herren. Jeder von ihnen trug einen gelben Lappen an der Hüfte, der beim Swingen und Grooven mitmachte, was wie eine symbolhafte Kurzform der langen, weiten Gospelkleider wirkte.

Aber es fing langsam und zunächst chorfrei an. Howe Gelb, der noch vor wenigen Jahren eine unerschütterlich dicke schwarze Indianermatte trug, kam als grauer schmaler Reverend auf die Bühne und startete in seiner knarzig-brummigen Stimme mit dem schönen „Love knows no Borders“, das auf der neuen CD mit dem Titel „Sno Angels like you“ an siebter Stelle zu finden ist. Nach einer Weile stimmte das Gospel-Ensemble sanft mit ein.

Über Gelb, der nicht nur den schwarzen Schopf, sondern auch seine alten Gepflogenheiten getauscht hat, mag man sich wundern – warum ist ausgerechnet ein Kirchenchor das vermeintlich neue Projekt? Doch ein Freigeist experimentiert, ohne sich zu verlieren. Ein bisschen wie Elvis Costello, der sich selbst in jeder Erscheinungsform immer treu bleibt.

Umso mehr verwundert es, dass Gelb, der unberechenbare und verspielte Hakenschläger, neben dem Gospelchor dann doch sehr gesittet und respektvoll agierte. Und dass nur gemäßigte Improvisationen und keine Publikumsbeschimpfungen stattfanden, sondern warmherzige Kommunikation zwischen ihm und den mit Bierflaschen klöternden Gästen. Diese Sanftheit ist vermutlich einer hohen Spiritualität zu verdanken. Der Plan mit dem Chor war lange gehegt und endlich erfüllt, das schlägt sich auch in den Texten nieder, die zwar von menschlicher Wärme und göttlicher Liebe handeln, aber dennoch nicht weniger bissig und humorvoll sind als früher.

Das Publikum war zahlreich erschienen – denn es gab in dieser Konstellation nur zwei Auftritte in Deutschland; und es war ein bisschen gespalten in die Anhänger des wild drauflos Spielens und diejenigen, die die ausgeglichene Zurückhaltung als Ergebnis einer fortdauernden Entwicklung schätzten. Howe Gelb freute sich derweil über Berlin und den Tag und teilte das auch allen Anwesenden mit. Rechts und links der Altarbühne tanzten junge Frauen ekstatische Hippie-Tänze und mussten sich zusammenreißen, nicht wild und begeistert auf die Bühne zu springen. Weiter hinten muffelten ein paar Altväter ganz leicht über die Glattheit der Veranstaltung und waren der Meinung, dass man zu Gelb-Musik nicht tanzen könne, womit sie aber in keinem Fall Recht haben können.

Nach acht Stücken, die nicht nur von der neuen CD, sondern zum Teil auch von dem genreverwandten, bereits 1997 verstorbenen Gitarristen Rainer Ptacek stammten, wurde kurz pausiert. The Voices of Praise swingten, summten, rockten und wirkten dabei total glücklich. An der sakralen Räumlichkeit kann es nicht gelegen haben, dass bald die Kirchenbankdrücker zu Pedal-Steel-Gitarre und Chorfreude mitlobpriesen. Und dass sich inzwischen die beinahe vollständig vorgestellte CD am Merchandise-Stand restlos ausverkaufte.

Nach „Get to leave“ als Schlusssong kam der Applaus kräftig. Bei der Zugabe wurden auch die Skeptiker wieder besänftigt: Mit sonderlichsten Interpretationen von „A walk on the Wilde Side“, „My Sweet Lord“ und „Oh Happy Day“, wie sie nur der alte „Improvisations-Provokateur“ Gelb hinkriegt. Aber so eben auch nicht ohne Chor.