Pollen jetzt besonders reizend

Allergiker leiden derzeit wie schon lange nicht mehr. Schuld ist der späte, aber äußerst heftige Frühlingseinbruch. Feinstaub und Klimawandel legen bei der Allergenbelastung noch eins drauf

von CLAUDIUS PRÖSSER

Schnupfen, Niesen, Husten: Schon lange hat der Pollenflug Allergikern nicht mehr so zugesetzt. Die Wartezimmer von HNO-Ärzten und Allergologen sind voll. Selbst Erwachsene, die zum letzten Mal als Kind unter Heuschnupfen gelitten haben, wachen mit verklebten Augen und triefender Nase auf. Gründe für das verstärkte Auftreten allergischer Reaktionen sind klimatische Faktoren, nach Ansicht von Experten aber auch von Menschen verursachte Umwelteinflüsse. „Die Pollenbelastung durch Birken ist gerade astronomisch hoch“, weiß Jörg Kleine-Tebbe, Arzt im Allergie- und Asthma-Zentrum Westend. Durch die Wärmeperiode der letzten Tage sei die Natur regelrecht „explodiert“. Weil es zudem kaum regne, klebten die Birkenpollen auf der Straße und würden immer wieder aufgewirbelt.

Laut Kleine-Tebbe ist seit einigen Jahren eine Zunahme von Baumpollen zu verzeichnen. Die Ursache dafür sei nicht genau geklärt. Mittlerweile hätten aber Baumpollen mit Gräserpollen mengenmäßig gleichgezogen.

Pollen sind im Frühling und Sommer unterwegs, um das Erbgut von Samenpflanzen zu verbreiten. Die mikroskopisch kleinen Körner gelangen über die Luft auch in menschliche Atemwege. Reizend auf die Schleimhäute wirken dabei die Lektine – Proteine mit einem Zuckeranteil, die eigentlich für die Erkennung des Pollenkorns durch die weibliche Blütennarbe zuständig sind. Auf sie reagiert das Immunsystem „irrtümlich“ mit einer heftigen Abwehrreaktion. Was viele Allergiker nicht ahnen: Durch „Kreuzallergien“ können Lebensmittel die körperliche Fehlreaktion verstärken, weil sie ähnliche Proteine enthalten. Mehr als die Hälfte aller Birkenpollenallergiker sind etwa gegen Äpfel, Möhren oder Haselnüsse allergisch.

Auch Karl-Christian Bergmann, Professor am Allergie-Centrum der Charité, hat gerade alle Hände voll zu tun: Seine Sprechstunde sei „deutlich voller als sonst“. „Zu uns kommen Patienten mit verstopfter Nase, aber auch mit Husten. Da entstehen gerade neue Asthmatiker.“

Der Allergologe bestätigt, dass Menschen, die früher einmal Heuschnupfen hatten, nach vielen beschwerdefreien Jahren wieder allergisch reagieren können – insbesondere bei sehr starker Pollenbelastung. Die schlechte Nachricht: Wer einen solchen Rückfall erlebt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in den kommenden Jahren unter allergischen Symptomen leiden.

Bergmann, im Nebenamt Leiter des Deutschen Polleninformationdienstes, verweist auf die Vermutung, dass Pollen aggressiver wirken, wenn sie auf Feinstaubpartikel treffen. Pollen mit Dieselruß oder Reifenabrieb im Huckepack könnten auf den Schleimhäuten von Allergikern noch verheerender wirken. Derweil ließen klimatische Veränderungen Allergiker länger leiden: Wegen der Tendenz zu immer milderen Wintern beginne die Pollensaison künftig früher – ohne deshalb früher zu enden.

Was tun gegen die winzigen Krankmacher? Kleine-Tebbe rät, sich die Allergene soweit wie möglich vom Hals zu halten: Straßenkleidung raus aus dem Schlafzimmer, Fenster nachts geschlossen lassen, im Auto den Luftfilter erneuern. Menschen mit fülligem Haar sollten dieses häufiger waschen als sonst.

Wem das nicht hilft, der wird um Medikamente nicht herumkommen. Dauerhafte Linderung verspricht eine Immuntherapie, die erst nach der Pollenflugsaison begonnen werden kann und sich über drei Jahre hinzieht.

Der Deutsche Polleninformationsdienst betreibt bundesweit 55 „Pollenfallen“. Seine Prognosen über das Allergenaufkommen und weitere Informationen sind unter pollenstiftung.de abrufbar