in fußballland
: Fazit: Wir wollen Irrsinn

CHRISTOPH BIERMANN über die schönsten Wiederaufstiege des VfL Bochum. Und was das mit Gertrude Stein zu tun hat

Es mag der Gedanke nahe liegen, dass an dieser Stelle hemmungslos persönlichen Obsessionen gefolgt wird, wenn die besten Bundesligawiederaufstiege des VfL Bochum miteinander verglichen und gewichtet werden. Doch ist im Kleinen, im Speziellen nicht immer auch das große Ganze verborgen? Erfahren wir nicht etwas über die Tiefenstrukturen von Begeisterung, wenn wir uns der Frage widmen, warum der Aufstieg des VfL Bochum im Sommer 2002 der beste von insgesamt fünf direkten Bundesligawiederaufstiegen in den letzten 12 Jahren war. Obwohl er sportlich doch der schlechteste war, denn damals gelang der Sprung in die Bundesliga vom dritten Platz aus, wo es sonst stets erste und zweite Plätze waren?

Offensichtlich wollen wir Dramen, und die gab es damals in Bochum reichlich. Nur einmal hatte der VfL Bochum vor dem letzten Spieltag auf einem Aufstiegsplatz gestanden – nach der vierten Runde. Bernard Dietz war bei seinem zweiten Mal als Cheftrainer des VfL Bochum nicht mehr erfolgreich und machte kurz vor der Winterpause Platz für Peter Neururer. Unter dessen Führung drehte das Team auch nicht gleich auf, kassierte am 22. Spieltag noch eine 1:6-Niederlage in Oberhausen und lag frustrierende acht Punkte hinter einem Aufstiegsplatz, um von den kommenden zehn Partien sieben zu gewinnen und nur noch eines zu verlieren. Am vorletzten Spieltag gelang trotz Unterzahl in vorletzter Minute ein 2:1-Sieg über Union Berlin, danach betrug der Rückstand auf Mainz 05 dennoch drei Punkte. In Aachen erzielte Bochum erneut in Unterzahl zwei Tore und eroberte acht Minuten vor dem Saisonende einen Aufstiegsplatz, als Union Berlin gegen Mainz in Führung ging. Fazit: Wir wollen Irrsinn, aber hinterher nicht verrückt sein.

An zweiter Stelle steht der Aufstieg des Jahres 1996, weil er das Versprechen einer neuen Zeit mit sich brachte. Klaus Toppmöller hatte zuvor den ersten direkten Wiederabstieg aus der ersten Liga nicht verhindern können, aber lehrte den Klub, was der hernach nie mehr vergaß: Fußball kann gespielt und muss nicht nur malocht werden. So stieg die Mannschaft auf und qualifizierte sich umgehend für den Uefa-Cup. Unglaublich! Fazit: Wir wollen Kulturrevolutionen, wenn sie denn erfolgreich sind.

Das Bochumerische spielte beim drittschönsten Wiederaufstieg eine besondere Rolle, weil ihn nicht zuletzt Jungs aus der eigenen Jugend und ein echter Bochumer als Coach schafften. Doch bevor Ralf „Katze“ Zumdick übernahm, musste erst ein unfassbares 1:6 daheim gegen Tennis Borussia Berlin, der Rauswurf von Ernst Middendorp und Bernard Dietz’ Interimseinsatz (inklusive eines 5:4 im Pokal gegen Wolfsburg unter seiner Führung) verarbeitet werden. Das Rückspiel bei TeBe gewann Bochum übrigens 4:0, was die ganze Rätselhaftigkeit des Fußballs belegt. Fazit: Lokal ist schön.

Der erste und viertschönste Wiederaufstieg geschah 1994 noch ganz im Geiste der Naivität, dass dieses eine Jahr Zweitklassigkeit nur den historischen Irrtum des Abstiegs reparieren würde. Es war die punkt- und torreichste Rückkehr in die Bundesliga, erwies sich aber letztlich nur als Ouvertüre zum ersten direkten Wiederabstieg. Fazit: Wir wollen Unschuld und wollen sie nicht verlieren.

Irgendwie ist es ziemlich ungerecht, den kürzlich vollzogenen fünften Wiederaufstieg ans Tabellenende zu platzieren, denn er war wunderbar nervenschonend. Nur dreimal stand die Mannschaft von Marcel Koller nicht auf einem Aufstiegsplatz und war 21-mal Tabellenführer; jeder Wackler wurde sofort korrigiert, und die Mannschaft lernte während der Saison beständig hinzu. Es fehlte also der Nervenkitzel, und Kulturrevolutionen sind in Bochum auch keine Option mehr. Die Zeiten der local players sind vorbei, und Naivität lässt sich ebenfalls nicht wieder herstellen. Gertrude Stein würde bilanzieren: „Der fünfte direkte Wiederaufstieg in die Bundesliga ist der fünfte direkte Wiederaufstieg in die Bundesliga.“ Aber vielleicht erweist sich seine wirkliche Größe darin, dass es keine baldige Notwendigkeit eines sechsten geben wird.