„Raubkopierer“ vor Gericht
: Der erste seiner Art

„Raubkopierer“ ist ein böses Wort. Wer raubt, übt Gewalt aus. Bestärkt durch diese Assoziation, hat die Unterhaltungsindustrie vor rund zwei Jahren in Kinospots vor dem illegalen Datei- Download aus dem Internet gewarnt. Als Verbrecher in Gefängniszelle wurde dargestellt, wer sich dennoch im Netz mit Musik und Filmen versorgt. In den Kinosälen hat das noch für Belustigung des Publikums gesorgt.

Das Lachen könnte vielen Internetusern vergehen, wenn der Gesetzentwurf des Bundeskabinetts in Kraft getreten ist, der das Nutzen von Tauschbörsen komplett unter Strafe stellt. Heute beginnt vor dem Amtsgericht Kiel ein Prozess, der ein Schlaglicht auf die anstehende Massenkriminalisierung wirft: Ein 36-jähriger Norderstedter ist angeklagt, 132-mal Filme, Musik und Computerprogramme aus der Tauschbörse „e-Mule“ heruntergeladen und verbreitet zu haben.

Mit einem einfachen Mausklick hat der Angeklagte gegen mehrere Verbote gleichzeitig verstoßen: Er hat sich Dateien heruntergeladen, die urheberrechtlich geschützt waren. Zeitgleich hat er die Dateien anderen zur Verfügung gestellt, weil „e-Mule“ schon während des Downloads anderen Nutzern Zugriff auf die Daten ermöglicht. Dann hat er die Filme, Musik und Computerprogramme, die er auf seiner Festplatte hatte, zum Herunterladen freigegeben – wie eine Tauschbörse eben funktioniert.

Ihm ist zum Verhängnis geworden, dass er seine Musik auch weiterverbreitet hat. Hätte er sich die Dateien nur zum eigenen Vergnügen besorgt, würde er sich heute nicht vor Gericht wiederfinden. Denn zwar war schon immer verboten, sich geschützte Titel zu verschaffen. Trotzdem blieb bislang straffrei, wer sich Musik oder Filme nur zum privaten Gebrauch herunterlud. Diese Ausnahme fällt weg: Tritt die Novelle in Kraft, ist auch der private Download unter Strafe gestellt.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat während der Beratungen zum neuen Urhebergesetz stets vor einer „Kriminalisierung der Schulhöfe“ gewarnt. Um die zu vermeiden, wollte sie eine Bagatellklausel einführen, die von Strafverfolgung in geringfügigen Fällen absieht. Das aber hat der Regierungspartner nicht mitgemacht: Ein illegaler Download dürfe nicht anders behandelt werden als etwa ein kleiner Ladendiebstahl, hatte insbesondere der CDU-Urheberrechtsexperte Günther Krings verlangt. Dieser Vergleich hat ihn zum Erfolg geführt – obwohl er hinkt: Denn während man beim Ladendiebstahl die Ware bewusst vor den Augen der Verkäufer versteckt, erfolgt der Download ja durch eine legale Handlung, durch Mausklick im Internet. Unrechtsbewusstsein des Täters? Hier wird es schwierig.

Da sie die erwünschte Bagatellklausel aufgeben musste, tröstet sich Zypries damit, dass die Staatsanwaltschaft „geringfügige Fälle“ nach wie vor einstellen könne. Auch die Kieler Staatsanwaltschaft betont, dass nicht jeder angezeigte Fall künftig vor Gericht landen wird. „Es muss ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehen“, erklärt ein Sprecher. Die Frage ist, ab wann das anzunehmen ist. Im Gesetzentwurf des Bundeskabinetts ist die Rede davon, dass beispielsweise nicht mehr straffrei ausgehen wird, wer sich „hunderte MP3s“ heruntergeladen hat. Konkrete Maßstäbe aber werden sich erst herausbilden müssen. Elke Spanner