Auf dem Gemüsethron

Er war Bundesverfassungsrichter, einer der besten Staatsrechtler Deutschlands und „Wunderwaffe“ von Wahlkämpferin Merkel. Nun erlebt Paul Kirchhof doch noch höhere Weihen – als „Spargelkönig“

VON LUKAS WALLRAFF

Die traurige Geschichte von einem, der auszog, das deutsche Finanzministerium zu erobern, könnte doch noch glücklich enden. Paul Kirchhof erfährt endlich Respekt und bekommt ein neues, viel schöneres Amt, über das später zu reden sein wird. Schon ging das Gerücht um, er sei der „Überraschungsgast“, den die FDP für ihren Parteitag am Wochenende angekündigt hat. Kirchhof, so viel steht fest, geht es gut. Das ist erstaunlich, weil dieser Mann das Pech magisch anzuziehen schien.

Im „Garten der Freiheit“

Ohne Not äußerte der pensionierte Verfassungsrichter im vergangenen Sommer einen Wunsch, der ebenso utopisch wie abgrundtief Mitleid erregend war. Bis zu Kirchhofs Bewerbung galt der graue Finanzministeriumsbau in der Berliner Wilhelmstraße als Strafgefängnis für ausrangierte Landtagswahlverlierer vom Schlage Hans Eichels.

Allen Politikern und politisch Interessierten war von Anfang an klar, dass man in der Wilhelmstraße, umgeben von Hermann Görings zurückgelassenem Beton, niemals jenen „Garten der Freiheit“ anlegen können würde, von dem Kirchhof so sehr träumte. Da konnte die Kanzlerkandidatin im Wahlkampf noch so oft beteuern, ihr Kompetenzmann Paul Kirchhof sei für sie der neue Ludwig Erhard und habe eine goldene Zukunft als Minister vor sich. Daran glaubte fest nur einer: Kirchhof selbst.

Die schnöde Realität sah anders aus. Eichels Erbe trat mit Peer Steinbrück ein weiterer SPD-Ex-Ministerpräsident an, und was die Realität für Bundesfinanzminister bereithält, erfährt er dieser Tage. Obwohl Steinbrück alles tut, um Reiche und Unternehmer von ihren kaum noch vorhandenen Steuerlasten zu befreien, steht er am Pranger – für die „schlimmste Steuererhöhung aller Zeiten“ (Bild gestern). Dieses Schicksal hätte auch Kirchhof, dem ambitioniertesten Gärtner der Freiheit, den das Land je sah, geblüht, doch es blieb ihm erspart.

Für ihren Ludwig Erhard hatte Merkel am Tag nach der Niederlage für Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl im September nur noch zwei Sätze übrig. Unnachahmlich kurz und bündig nahm sie von ihm Abschied. „Ich habe ihm gedankt“, sagte Merkel auf die Frage nach Kirchhofs Verbleib, „ansonsten ist mir nichts zu Ohren gekommen.“ Nichts wollte sie mehr wissen von dem Mann, der ein gut Teil der potenziellen CDU-Wähler verschreckt hatte: vor allem mit seinem Beharren auf einer so genannten flat tax, die 25 Prozent für alle vorsah. Das konnte die CDU beim besten Willen nicht als sozial ausgewogen, geschweige denn als Glücksverheißung für das ganze Volk verkaufen.

Mit Grausen abgewendet

Ganz im Gegenteil: Kirchhof wurde für die SPD zur lang ersehnten Hassfigur, auf die Gerhard Schröder in seinem letzten Wahlkampfendspurt einschlagen konnte. Als Kirchhof auch noch eine privatisierte Rentenversicherung vorschlug, wandten sich noch mehr Wähler und in ihrem Gefolge auch die meisten CDU-Politiker mit Grausen von ihm ab. Aus dem Kompetenz- wurde ein Buhmann.

Für Merkel und die Union war Kirchhof nur noch für eines gut: als Sündenbock. Kirchhof war schuld – so ließ sich die eigene Wahlpleite leicht und schnell erklären und eine tiefere Ursachenforschung verdrängen. Von dem Freiheitsprediger war monatelang nichts mehr zu hören. Kirchhof schien so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Doch es gibt Menschen, die das sehr bedauern.

Es gibt Menschen, die ihn deshalb nun zum König krönen. Genauer gesagt zum „Liberalen Huckelrieder Spargelkönig des Oldenburger Münsterlandes“. Wer darüber spottet, sollte eines wissen: Dies ist kein Trostpreis, sondern das Zeichen für Kirchhofs wundersame Wiederauferstehung. Das ist kein Witz und viel zu wahr, um schön zu sein.

Die Liste der bisherigen Huckelrieder Könige und ihrer Laudatoren liest sich wie die Gästeliste von Sabine Christiansen. Bei der Krönungszeremonie am vergangenen Wochenende war auch Guido Westerwelle da. Und als der FDP-Chef vor einigen Jahren selbst Spargelkönig wurde, führte ihn ein gewisser Wolfgang Clement in sein Amt ein.

In gewisser Weise ist Kirchhof wieder zu Hause: bei der FDP, die ihn schon immer umjubelt hatte. Kirchhofs Ausflug in die CDU-Wahlkampfmannschaft sieht er wohl selbst als historischen Irrtum, nun dient er als Kronzeuge für alle, die der Regierung viel zu lasche Reformen vorwerfen, weit über die FDP hinaus. Kirchhofs Steuerplan wird im Spiegel wieder als geniale Idee gepriesen, die Welt hat ihm eine Kolumne eingerichtet.