DER BERICHT ÜBER DIE TERRORANSCHLÄGE IN LONDON 2005 IST WERTLOS
: Blairs Lücke im Kopf

Britische Untersuchungsberichte sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Jüngstes Beispiel: die Berichte über die Londoner Bombenanschläge vom 7. Juli vorigen Jahres. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Geheimdienste bei der Früherkennung der Gefahr nicht versagt haben, sondern dass es eine „nachrichtendienstliche Lücke“ gab, die den fehlenden Mitteln geschuldet sei.

Die Lücke ist im Kopf der Autoren. Ihre Berichte, die vor der Veröffentlichung von Premier Tony Blair abgesegnet werden mussten, verfolgen einen politischen Zweck. Sie sollen den staatlichen Institutionen mehr Mittel verschaffen, um Terrorattacken zu verhindern: also Personalausweise mit genetischem Fingerabdruck, Internierung von Verdächtigen ohne Anklage, Ausweisung von suspekten Ausländern.

Die Vorstellung, dass scheinbar integrierte junge Briten muslimischen Glaubens dazu fähig sein könnten, Anschläge zu verüben – das war nicht nur für die Geheimdienste unvorstellbar. Die haben allerdings viel früher versagt, als sie behaupteten, der Irak sei gespickt mit Massenvernichtungswaffen. Oder genauer: als sie es zuließen, dass Blair und sein Kriegskabinett die Geheimdienstberichte manipulierten, bis der Irak als unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben der britischen Nation dastand.

Der Irakkrieg hatte nur entfernt mit den Londoner Attentaten zu tun, behaupten die Autoren der Berichte, obwohl die Freunde der Täter das Gegenteil sagen. Aber sie wurden nicht vernommen, denn es war ja keine öffentliche Untersuchung. Ob eine solche jedoch zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, ist zweifelhaft. Man denke nur an den Fall des Wissenschaftlers David Kelly, der die Begründung für den Irakkrieg als Lüge entlarvt hatte, von der Regierung dafür bloßgestellt wurde und sich 2003 umbrachte.

Der damalige Untersuchungsbericht kam einer Ehrenerklärung für die Regierung gleich. Doch wenigstens war die Beweisaufnahme erhellend, so dass sich die Öffentlichkeit ihr eigenes Urteil bilden konnte. Den Bericht selbst konnte man, wie auch die beiden Papiere von gestern, getrost ungelesen dem Papierkorb übergeben. RALF SOTSCHECK