Dem Volk die Spange

TRASSENFRAGE Erstmals stimmen in Göttingen die Einwohner über ein Straßenbauvorhaben ab: Nicht alle versprechen sich von der geplanten Umgehungsstraße im Süden Gutes

Die ohnehin finanziell Not leidende Stadt würde durch Ausgaben von mehreren Millionen Euro belastet

AUS GÖTTINGEN REIMAR PAUL

Es ist wie im Wahlkampf. In der Innenstadt stehen Büchertische, an Laternenpfählen und Straßenschildern kleben Aufkleber, Informationsveranstaltungen und Podiumsdiskussionen werden abgehalten. Allerdings sind es nicht Wählerstimmen, um die die Parteien diesmal werben. Vielmehr soll abgestimmt werden: über eine Umgehungsstraße, die so genannte „Südspange“.

Die Trasse soll einen großen Teil des von Süden über die Bundesstraße 27 kommenden Verkehrs um die Stadt herumführen und an eine bereits bestehende Umgehung anschließen. Im Göttinger Rat gibt es keine klaren Mehrheiten für oder gegen das Bauvorhaben. Und so beschloss das Kommunalparlament mit den Stimmen von SPD und Grünen eine „Volksabstimmung“. Damit lässt die Stadt erstmals in ihrer Geschichte die Bürgerinnen und Bürger mehr oder weniger direkt über ein umstrittenes Vorhaben entscheiden. In dieser Woche hat die Verwaltung damit begonnen, die Abstimmungsbögen an rund 95.000 Wahlberechtigte zu verschicken.

Für den Bau der Südspange setzen sich vor allem CDU und FDP ein. Sie argumentieren im Wesentlichen mit einem beschleunigten Verkehrsfluss und der Entlastung besonders stark befahrener Straßen in der Stadt. Falsch, sagen Grüne, Linkspartei, viele Sozialdemokraten und nicht zuletzt die Bürgerinitiative „Göttinger Süden“ (BI). Die Umgehungsstraße reduziere den Verkehr nicht, sondern verteile ihn lediglich um. In manchen Straßen müssten sich die Anwohner sogar auf mehr Durchgangsverkehr einstellen. Außerdem, so die Kritiker, werde das wichtigste Göttinger Naherholungsgebiet durch den Straßenbau zerschnitten.

Tatsächlich ist die Gegend südlich des Göttinger Kiessees bei Radfahrern, Joggern, Inline-Skatern, Spaziergängern oder auch Hundehaltern sehr beliebt. „Die Südspange würde diesen fuß- und radläufig erreichbaren Erholungsraum unwiederbringlich zerschneiden und zerstören“, erklärt die BI. Erholungs- und Bewegungssuchende müssten sich stattdessen mit einer nur halb so großen Fläche bescheiden – mitsamt Kinderkarre und Köter.

Entscheidend bei der Abstimmung könnte aber ein anderer Aspekt werden. Die ohnehin finanziell Not leidende Stadt würde durch Ausgaben von mehreren Millionen Euro weiter belastet. „Das Geld fehlt dann in den Bereichen Soziales, Jugend, Bildung und Kultur“, sagt Linken-Ratsherr Patrick Humke-Focks.

Die Spangen-Befürworter verweisen darauf, dass die geschätzt sieben bis acht Millionen Euro teure Straße größtenteils vom Land bezahlt werde. Größtenteils – die Stadt wäre immer noch mit rund 2,8 Millionen dabei und müsste zudem die Planungskosten von 500.000 sowie jährlich mehrere 10.000 Euro Unterhaltungskosten tragen.

Die Stadtverwaltung hat nun einen beidseitig bedruckten Stimmzettel verschickt. Auf der Vorderseite finden sich neben der abzustimmenden Frage noch allerlei Fakten zur Südspange sowie wesentliche Pro- und Contra-Argumente. Die Rückseite zeigt eine Luftaufnahme mit dem wahrscheinlichen Verlauf der Umgehungsstraße.

Noch bis zum 14. Juni können die Göttinger sich überlegen, ob sie mit „ja“ oder „nein“ stimmen: Dann müssen die Bögen wieder bei der Stadt eingegangen sein. Sie können per Post mit vorab frankiertem Rückumschlag verschickt oder im Rathaus und den Verwaltungsstellen in den Stadtteilen abgegeben werden. Der Stadtrat hat beschlossen, dass er sich an das Votum der Bevölkerung halten wird. Voraussetzung ist allerdings, dass sich mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligen.