GOETZ LIEST
: Alles falsch!

Jetzt denk ich schon wie Hermann Hesse

Der edition-suhrkamp-Laden in der Linienstraße war supervoll; Rainald Goetz bahnte sich seinen Weg durch die Leute mit einer großen weißen Pappe im Arm, auf die er später mit Pinsel die Kapiteltitel schreiben sollte: „die Ordnung des Ladens“, der von der edition suhrkamp handelte, „die Sehnsucht nach niedlichen Mädchen“, bei der es um Helene Hegemann, Amelie Fried, diese „crazy“ Missbrauchsdebatte ging, und „blattkritik: zersetzen verwerfen bekämpfen verspotten“. Die Worte klangen super, wie der Dichter sie so leicht münchnerisch sagte. Der Titel des Auftritts hieß „wrong“. Die Musik in den Pausen sagte auch oft „wrong“, aber doch sehr lebenszugewandt.

Der Dichter saß an einem kleinen Tischchen, raufte sich die Haare, inmitten einer Unmenge von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen. Der gelesene Text, die freie Rede, bei der er oft auf einen Stuhl stieg, hielt die scheuen wilden Pferdchen der Nervosität im Zaum. Er las paar Sachen aus „Loslabern“, die letzten Seiten aus „Klage“, ein paar Wortgedichte, Passagen aus Peter Handkes „Nachmittag eines Schriftstellers“, eine schöne Stelle über Kunst, Künstler und Leben aus Prousts „Recherche“. Es ging um die Fragilität des Dichters, des Deppen, Alleinsein, Kranksein im Widerspruch zwischen Affirmation und alles falsch; „Praxis Dr. R. Kaputt“ war die Inschrift eines Grabsteins, den Rainald Goetz hellblau gepinselt hatte. Das letzte „t“ ein Kreuz.

Eigentlich war es ja ein Versuch gewesen: eine dreieinhalbstündige Lesung zerhackt in 14 Teile; fünf Minuten lesen, was sagen, hoffen darauf, dass jemand mitmacht (was auch manchmal und einmal sehr schön geschah), dann Pause, rausgehen, rauchen und dabei mit anderen reden. Dann weiter. Ein toller Auftritt! Hauptsätze des Nachmittags: „Jetzt denk ich schon wie Hermann Hesse.“ Und: „Helene Hegemann ist unsympathisch.“

DETLEF KUHLBRODT