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: Politische Jugendbücher: eine israelisch-palästinensische Freundschaft, Geschichten über Krieg und Kinderrechte

Eine Stunde mit dem Bus, und sie wäre in Gaza. Betonung auf „wäre“, denn natürlich geht das nicht. Also bastelt Tal eine Flaschenpost und lässt sie durch ihren Bruder, der Soldat ist, vor Gaza ins Meer werfen. Denn Tal, die in Jerusalem lebt, sucht eine palästinensische E-Mail-Freundin, weil sie mehr über das Land wissen will, aus dem die Attentäter kommen. Was sie bekommt, ist Gazaman. Der ist pampig, arrogant und launisch. Mal mailt er, mal nicht, mal ist er zynisch, dann wieder besorgt. So dauert es eine Weile, bis die beiden Jugendlichen zueinander Vertrauen fassen. Das liegt auch daran, dass es oft um Politik geht. Nicht, dass Naim eine Neigung hätte, Gewalt zu verherrlichen. Aber er sieht doch manches anders. Bis das passiert, was unvermeidlich scheint: ein Attentat, ganz in Tals Nähe.

„Leihst du mir deinen Blick?“ heißt dieses Jugendbuch, und tatsächlich ist es manchmal so korrekt, wie der unglückliche Titel suggeriert, manchmal auch recht nahe am Friedenskitsch gebaut, was nicht heißt, dass Jugendliche das genauso empfinden werden. Aber es hat auch viel Witz und ein überraschendes und erfreulich unsymbolisches Ende.

Ohne Pathos ist hingegen das Bilderbuch des italienischen Illustrators Roberto Innocenti. Er hat die Geschichte von Rosa Weiss gemalt, die sich über die vielen Lastwagen wundert, die neuerdings durch ihre kleine Stadt rattern. Eines Tages entdeckt Rosa, was diese Wagen geladen haben: Kinder. Sie folgt den Lastern und gelangt zu einem KZ, durch dessen Stacheldraht sie ihr letztes Schulbrot schiebt. Das tut sie fortan jeden Tag. Sie bringt den Kindern, was sie an Stullen und Äpfeln nur kriegen kann, aber sie erzählt niemandem etwas davon. Warum nicht? Darüber schweigt das Buch. Nur wie die Soldaten das KZ befreien, hat Innocenti in seiner realistischen Art gemalt, und als Rosa Weiss dorthin kommt, ist es leer. Dann fällt ein Schuss, und die Geschichte ist zu Ende, so wie das Leben von Rosa Weiss. Das ist zum Heulen, man kann es nicht anders sagen.

Warum können die Menschen nicht in Frieden miteinander leben? Auf diese Frage hat der Wissenschaftsjournalist und Kinderbuchautor Gerhard Staguhn eine Antwort gesucht. Gut 250 Seiten dick ist seine „Geschichte des Krieges“, und er geht darin sehr gewissenhaft vor.

Er erzählt aus dem Tierreich und von den großen Kriegszügen der Weltgeschichte, von unterschiedlichen Motiven und von der „Kunst des Krieges“, wie sie in Asien entstanden ist. Man erfährt, warum Napoleon ein genialer Feldherr war und was Clausewitz in seinem Standardwerk über die Taktik gesagt hat. Auch ein Kapitel über Bürgerkrieg und Terrorismus kommt vor, wie auch eines über die verschiedenen Friedensbewegungen. Das ist toll zusammengetragen und spannend, nur die merkwürdigen grauen Merkkästchen haben etwas unangenehm Schulbuchartiges. Und noch ein Buch über Krieg, Frieden und wie Kinder dabei unter die Räder kommen: Das erfahrene Autorenteam Reiner Engelmann und Urs M. Fiechtner hat ein „Lesebuch über Kinderrechte“ verfasst – Geschichten von Kindern, deren Rechte verletzt werden. Das ist erschütternd und oft brutal, manches zu kompliziert. Aber man sollte sich nicht abschrecken lassen, auch wenn der zweispaltige Druck es dem Leser zusätzlich schwer macht. ANGELIKA OHLAND

Valérie Zenatti: „Leihst du mir deinen Blick?“ Eine E-Mail-Freundschaft zwischen Jerusalem und Gaza. Deutsch von Bernadette Ott. Cecilie Dressler Verlag, Hamburg, 190 Seiten, 12 EuroRoberto Innocenti: „Rosa Weiss“. Nacherzählt von Mirjam Pressler. Sauerländer Verlag, Düsseldorf, 15,90 EuroGerhard Staguhn: „Warum die Menschen keinen Frieden halten“. Eine Geschichte des Krieges. Hanser Verlag, München, 255 Seiten, 16,90 EuroReiner Engelmann, Urs M. Fiechtner (Hg.): „Kinder ohne Kindheit“. Ein Lesebuch über Kinderrechte. Sauerländer Verlag, Düsseldorf, 211 Seiten, 19,90 Euro