berliner szenen Ein Tag Dolmuschfahrerin

Cruisen ohne Kiss FM

Willst du für uns einen Tag Dolmusch fahren, fragte die nette Frau vom HAU am Telefon, und ich sagte natürlich zu. Mein Auto ist ein spießiger, großer, moderner Ford – irgendwas mit Wunderbäumchen. Ein „Dolmusch Express“-Klebeband ziert die Frontscheibe, an der Seite klebt ein Fähnchen, das nach der ersten Kurve, die ich mit Schwung nehme, abfällt. Darum erkennt mich auch fortan niemand mehr als Dolmuschpilotin. Macht nix, ich habe eine Tüte mit Cassetten der letzten 20 Jahre dabei, die ich ewig nicht gehört habe. „The B-52's – Partymix“ zum Beispiel, auf der anderen Seite sind „Devo“ und „Zatopek“ – super.

Vom HAU bis zur Falckensteinstraße will niemand mit, und ich überlege schon, ob ich nicht fremde Menschen an Bushaltestellen ansprechen soll. Im Wrangelkiez wartet dann eine Horde freche kleine Menschen mit Migrationshintergrund auf jedes Dolmuschauto, ich nehme fünf mit, weil die beiden Mädchen der Truppe so süß sind. Sie wollen zwischen Wrangel-, Oppelner und Falckensteinstraße cruisen, und ich fahre ein paar Runden mit ihnen und hupe, wenn sie einen älteren Bruder oder Onkel auf der Straße sehen – ich kann gut nachvollziehen, wie das ist, wenn man noch keinen Führerschein hat.

Nach der dritten Runde schreien die Jungs einmal zu viel „Ey hast du kein Kiss FM?“, und ich brülle über meine schon zerrende Anlage hinweg: Jetzt reicht's, ihr Würmer, raus! Auf der zweiten Tour vom HAU aus fahre ich einen Freund zum Dolmusch-Schiff, danach versuche ich, am Oranienplatz kunstprojektinteressierte, niveauvolle Fahrgäste zu ködern, aber da stehen schon drei andere Sammeltaxen, eines davon ist ein weißes Angebercabrio mit roten Sitzen – wer will da noch Ford fahren? JENNI ZYLKA