„Wir sind nicht die Ankläger der USA“

Zwar muss sich Washington endlich zu den CIA-Flügen und Geheimgefängnissen in Osteuropa äußern, aber Europa muss auch seine eigene Verstrickung aufarbeiten, sagt der deutsche Europaabgeordnete Cem Özdemir (B90/Grüne)

taz: Herr Özdemir, es hieß, die US-amerikanische Regierung habe den EU-Ausschuss ganz schön abblitzen lassen. War dem so?

Cem Özdemir: Von den Demokraten kann ich das nicht sagen, aber die Republikaner haben wir nicht gesprochen, bis auf Senator Arlen Specter, der zu den gemäßigten Konservativen zählt. Außerdem gab es ein Gespräch mit John Bellinger, der Nummer drei im State Department und dem stellvertretenden Außenminister Dan Fried.

Das Europäische Parlament wird in den USA als zahnloser Tiger gesehen, tatsächlich hat dieser Ausschuss keinerlei Verfügungsgewalt. Was also war das Ziel Ihrer Reise?

Wir sehen uns nicht in der Rolle der Ankläger der US-Regierung. Wir wollen aufklären, was es mit den Gefangenenflügen und anderen Rechtsverletzungen auf sich hat. Dazu brauchen wir Gleichgesinnte, die ihren Regierungen gegenüber klar machen, dass wir im Kampf gegen Terrorismus darauf angewiesen sind, die Prinzipien, die wir teilen, nämlich Demokratie und Menschenrechte, nicht hinten runterfallen zu lassen.

Die USA hatten ja schon etliche Gelegenheiten, sich dazu zu äußern. Die Bush-Administration steht aber auf dem Standpunkt, dass sie sich im Kriegszustand befindet und daher eigene Lösungen finden muss – und darf. Macht das Aufklärung unmöglich?

Man deutete an, dass die Situation nicht mehr wie kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist, sondern sich beruhigt habe. Leider hatte das noch keine praktischen Konsequenzen. Fehler werden nur auf abstrakter Ebene zugegeben, vermutlich weil befürchtet wird, dass dem Schadenersatzforderungen folgen könnten. Das macht die amerikanische Position in meinen Augen nicht glaubwürdiger.

Gab es Neuigkeiten im Fall des von den USA entführten deutschen Staatsbürgers al-Masri?

Wir haben nichts gehört, was über das hinausgeht, was Condoleezza Rice Bundeskanzlerin Merkel sagte.

Und das ist dann okay so?

Ich glaube, dass die USA glaubwürdiger wären, wenn sie offen einräumen würden, dass Fehler gemacht wurden und wo. Allein der Fall al-Masri würde es erfordern, dass die USA sich entsprechend verhalten und sich bei ihm öffentlich entschuldigen. Genau das das tun sie aber bislang nicht.

US-amerikanische Kritiker bemängeln die gleichen Punkte wie die Europäer, nur führt die Bush-Administration stets ins Feld, dass die Sicherheit der US-Bürger nun mal Vorrang habe. Ist ihnen diese Kompromisslosigkeit auch entgegengebracht worden?

Der Vorwurf, den die USA gegenüber den Europäern erheben, nämlich dass die Europäer bei allem dabei waren, ist ja nicht völlig falsch. Einige europäische Regierungen haben sich ebenfalls nicht korrekt verhalten. Deshalb beschäftigt sich ja unser CIA-Ausschuss hauptsächlich mit der europäischen Dimension des Problems. Zum Beispiel saßen in einem CIA-Flugzeug abgelehnte Asylbewerber, die von Schweden nach Ägypten abgeschoben wurden, sowie zwei schwedische Beamte. Oder welches war die Rolle der deutschen Behörden im Falle al-Masri? Von dem italienischen Entführungsfall Abu Omar wissen wir mittlerweile, dass die italienische Regierung darin verwickelt war. All diese Fälle müssen aufgearbeitet werden.

Die EU geht mittlerweile von bis zu 1.000 CIA-Flügen aus. Die US-Regierung spricht dagegen nur von vielleicht 10 Flügen. Wie geht das zusammen?

Ich finde diesen Streit um genaue Zahlen müßig. Niemand denkt, dass bei den rund 1.000 CIA-Flügen jeweils Gefangene dabei waren. Wir wissen aber von einigen Flügen sicher, dass sie Gefangene transportierten. Hier sind die USA in der Pflicht, zu erklären, was da los war. Was sie aber nicht tun. Dass sie die Zahl anzweifeln, zeigt uns, dass diese Flüge stattgefunden haben. Wir fordern jetzt Erklärungen darüber, zu welchem Zweck und ob da Menschenrechte verletzt wurden. Selbst ein einziger Fall, in dem jemand seiner Freiheit beraubt wurde, ist einer zu viel. In einem Rechtsstaat gibt es dafür geordnete Verfahren.

Die USA führen dann gerne das Argument an, dass es Länder gibt, in denen mutmaßliche Terroristen nicht vor Gericht gestellt werden.

Es gibt Länder, in denen die Rechtssysteme nicht funktionieren. Human Rights Watch kann belegen, dass sich mindestens 26 Menschen in geheimen CIA-Gefängnissen befinden und nochmals neun bei „befreundeten Regierungen“ zwischengeparkt sind. Diese Menschen müssen vor ein rechtsstaatliches Gericht gestellt werden. Das aber tun die USA nicht, womit sie sich schlicht ins Unrecht setzen.

Müssen wir also davon ausgehen, dass weiterhin CIA-Gefangenenflüge stattfinden?

Wir wissen mittlerweile, dass es Geheimgefängnisse in Polen und Rumänien gab, dass sie offensichtlich aus einer Not heraus entstanden sind, mit kaum mehr als zehn Gefangenen. Offensichtlich hatte sich Polen dazu bereit erklärt. Wir wissen aber nicht genau, wo sich die Gefängnisse befanden. Polen und Rumänien wären gut beraten, zur Aufklärung beizutragen, denn ich bin überzeugt, dass diese Informationen früher oder später durchsickern werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden diese Geheimgefängnisse mittlerweile aufgelöst und befinden sich heute in Nordafrika. Höchstwahrscheinlich in Ländern, die in unseren Menschenrechtsberichten kritisiert werden.

Hat der Besuch in Washington nun neue Erkenntnisse gebracht?

Ich bin sicher, dass die Botschaft auf amerikanischer Seite angekommen ist, dass wir es ernst meinen. Uns wurde von der Exekutive allerdings gesagt, dass sie befürchten, dass unsere Ermittlungen die Geheimdienstkooperation stören werde. Unsere Antwort darauf war, dass wir die rechtsstaatliche Regierungszusammenarbeit bei der Antiterrorarbeit nicht kritisieren. Aber unsere Kooperation darf nicht dazu führen, dass wir Komplizen des Unrechts werden.

Sind sich alle Mitglieder des Ausschusses in ihrer Haltung einig?

Absolut nicht. Im Vergleich zu manchen Ausschussmitgliedern erscheint der US-Präsident schon fast wie ein Liberaler. Andere, beispielsweise polnische Delegierte, sehen ihre Rolle hauptsächlich darin, ihre Herkunftsländer zu verteidigen; das finde ich sehr bedauerlich. Unsere Aufgabe sollte sein, dass wir Vorwürfen jeder Art nachgehen und Beweismaterial sammeln.

Welche Perspektive sehen Sie für die Arbeit des CIA-Ausschusses?

Der Ausschuss muss seine Arbeit fortsetzen. Deutschland, Italien, Spanien folgen mit eigenen Untersuchungsausschüssen und ergänzen unsere und die Arbeit des Europarates unter Dick Marty. Das nächste Stadium muss sein, dass wir jetzt die europäischen Regierungen damit konfrontieren, was wir hier von Journalisten, Nichtregierungsorganisationen und ehemaligen Geheimdienstleuten erfahren haben. Und wir werden die Regierungen fragen, wie sie solche Rechtsbrüche künftig verhindern wollen. Es kann nicht sein, dass im Kampf gegen den Terrorismus Menschenrechte auf der Strecke bleiben. INTERVIEW:
ADRIENNE WOLTERSDORF