USA: Misstrauen gegen das eigene Volk

Die Enthüllung, dass der US-Geheimdienst NSA Millionen von Telefongesprächen in den USA abgehört haben soll, bringt die Regierung in Erklärungsnöte und den von Präsident Bush als neuer CIA-Chef nominierten Michael Hayden in große Bedrängnis

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Kongressabgeordnete beider Parteien haben Aufklärung von der US-Regierung verlangt, nachdem am Donnerstag bekannt geworden war, dass die Administration millionenfach Daten über Telefongespräche in den USA sammelt. „Ein Big-Brother-Programm“ nannte der Vorsitzende des Justizausschusses im Senat, Arlen Specter, im Fernsehsender CBS die neuen Enthüllungen. „Es besteht die Gefahr, dass die Privatsphäre verletzt wird“, sagte Specter. Der demokratische Senator Patrick Leahy empörte sich über die angebliche Registrierung von Millionen von Anrufen: „Man muss wissen, wie unsere Regierung die Amerikaner ausspioniert.“ Sein Kollege Bill Nelson forderte eine parlamentarische Untersuchung, um herauszufinden, weshalb die Telefongesellschaften der US-Regierung die Anruflisten ihrer Kunden gegeben hätten.

Die Tageszeitung USA Today hatte am Donnerstag berichtet, dass der Militärgeheimdienst NSA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ein riesiges Archiv mit den Daten von Millionen privater Telefonnummern angelegt habe. Aus dem Datenbestand wollten die Geheimdienstler mit aufwändigem „data mining“ Muster herausfiltern, die angeblich auf terroristische Umtriebe schließen lassen sollen. Es sei „die größte Datenbank, die je auf der Welt zusammengestellt wurde“, zitierte das Blatt einen anonymen Fachmann, der das mutmaßliche Programm kennen soll.

Es handele sich um ein handfestes verfassungsrechtliches Problem, sagte die demokratische Senatorin Dianne Feinstein. Dadurch, dass die Abhöraktionen der NSA an die Öffentlichkeit geraten seien, stelle sich auch die Nominierung des früheren NSA-Chefs Michael Hayden als neuer Direktor des Geheimdienstes CIA in einem anderen Licht dar. Hayden, dessen Nominierung durch Präsident Bush seit Wochenbeginn eine heftige Debatte ausgelöst hat, hatte die NSA von März 1999 bis April vergangenen Jahres geleitet.

Bei seiner Anhörung im Kongress am Donnerstag löste die Enthüllung eine Grundsatzdiskussion über die Balance zwischen Bürgerrechten und Antiterrormaßnahmen aus. Präsident Bush stellte sich vor seinen Kandidaten für den Chefposten beim wichtigsten US-Geheimdienst und betonte, die bürgerlichen Freiheiten würden „vehement geschützt“. Die Regierung habe keine Inlandsgespräche ohne richterliche Genehmigung abgehört.

Hayden, ein General der Air Force, äußerte sich nicht zu den Enthüllungen, sagte aber vor Journalisten, dass die NSA stets „rechtmäßig und sehr sorgfältig“ arbeite. Bush vermied es, den Bericht zu bestätigen oder zu dementieren. Er sagte lediglich, dass die US-Geheimdienste „weder im Privatleben der Amerikaner schnüffeln noch herumsuchen“. Hayden sagte, dass die zuständigen Abgeordneten im Kongress über alle Maßnahmen der NSA informiert worden seien. Der demokratische Senator Ron Wyden erklärte, der Bericht über die gigantische Abhöraktion lasse Fragen an Haydens Glaubwürdigkeit aufkommen.

Arlen Specter ließ sich von den Beruhigungsversuchen des Präsidenten nicht beirren und kündigte an, er werde die Telefongesellschaften in den Senats-Justizausschuss vorladen, um die Wahrheit herauszufinden. Die Unternehmen Verizon, AT & T und BellSouth erklärten, sie seien gesetzlich verpflichtet, in Extremsituationen mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Der Schutz der Privatsphäre der Kunden habe aber stets oberste Priorität gehabt. T-Mobile USA teilte in einer Erklärung mit, das Unternehmen habe sich nicht an einem NSA-Programm „für die Überwachung ohne richterlichen Beschluss und den Erwerb von Anrufaufzeichnungen“ beteiligt.

Das Weiße Haus hatte im Dezember 2005, nachdem die New York Times von einem Abhörprogramm der NSA bei internationalen Telefongesprächen berichtet hatte, behauptet, die Maßnahmen bezögen sich lediglich auf Überseegespräche sowie E-Mails von Terrorverdächtigen. „Soll das heißen, dass mehrere zehn Millionen Amerikaner Verbindungen zu al-Qaida haben?“, fragte Leahy.

„Die gigantische Datensammlung der NSA ist für uns ein weiteres Zeichen, dass die US-Administration den falschen Weg eingeschlagen hat“, sagte Jay Stanley von der American Civil Liberties Union zur taz. „Diese Herangehensweise an die nationale Sicherheit ist nicht nur eine Bedrohung für die bürgerlichen Freiheiten, sondern auch im höchsten Maße ineffektiv.“

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