Liberale winken rot-grünen Wählerkreisen zu

Zum Parteitag verpasst sich die FDP ein Umweltprofil. Was aber wird Alleinherrscher Westerwelle daraus machen?

BERLIN taz ■ Guido Westerwelle hat vollkommen Recht. Die große Koalition ist mächtiger, als es für die Demokratie gut ist. Gesetze werden ohne besondere Rücksicht auf Verfassung, Parlament oder Öffentlichkeit beschlossen. Eine wachsame Opposition ist notwendiger denn je. Das wird Westerwelle auch an diesem Wochenende wieder sagen, wenn seine FDP sich zum Parteitag in Rostock versammelt.

Aber was genau trägt Guido Westerwelle zu den beschworenen Werten bei? Und was trägt der Umstand dazu bei, dass er jetzt nicht mehr nur Partei-, sondern auch Fraktionschef der FDP ist? Nahezu täglich gibt Westerwelle in einer der Zeitungen der Republik ein Interview. Immer wird er gefragt, ob er jetzt nicht mehr der Spaßheini aus dem Wahlkampf 2002 ist. Und immer verweist er erstens auf seine fröhliche rheinische Natur und zweitens die Seriosität seiner Arbeit. Die Sache mit dem Doppelchef erklärt er mit „Konzentration der Kräfte“ zwecks – siehe oben: schlagkräftige Opposition.

Westerwelle kann als erfolgreicher Chef gelten. Mit großartigen 9,8 Prozent zogen die Liberalen in den Bundestag ein, liegen in Umfragen seither stabil bei 9 bis 10 Prozent. Bei den jüngsten Landtagswahlen schnitten sie gut ab, selbst wenn sie aus zwei Landesregierungen flogen.

Westerwelle ist auch ein sehr guter Redner. Er spricht anspielungsreich mit Sinn für Sprachwitz und -bilder. Westerwelle gibt jederzeit korrekt wieder, was FDP-Meinungs- und -Entscheidungsstand ist. Er macht keine so genannten Fehler. Das muss selbst der schwulenfeindliche Teil des Publikums zugeben.

Nur ist es so ausgesprochen schwer, im seriösen liberalen Alleinherrscher Westerwelle einen glaubwürdigen Vertreter von irgendetwas außer seinem eigenen Aufstiegswillen zu erkennen. Bisher schreibt der 44-Jährige vor allem die Geschichte vom Schlangennest FDP fort.

Trocken effizient verdrängte er den jetzt 62-jährigen Wolfgang Gerhardt erst vom Partei-, dann vom Fraktionsvorsitz, den er seit dieser Woche ausfüllt. Wie kein Zweiter steht Westerwelle für die Egomanenpartei FDP. Weder er noch der Ruf der Partei können deshalb davon profitieren, dass es auch Liberale gibt, die mehr können, als die liberale Steuersenkungs-Gebetsmühle anzuwerfen: Sei es der Innen- und Rechtspolitiker Max Stadler, der beim Kampf um den Untersuchungsausschuss zur Geheimdienstaffäre respektable Arbeit leistete, seien es die Altliberalen Gerhard Baum und Burkhard Hirsch, die gegen das Gesetz zum Abschuss entführter Passagiermaschinen erfolgreich klagten, oder sei es die Familienpolitikerin Ina Lenke, die recht früh detaillierte Fragen- und Mängellisten zum Elterngeld vorlegte.

Es ist daher mindestens offen, welches Schicksal auch der neue Umweltschwerpunkt erleiden wird, den die FDP an diesem Parteitag setzen möchte. Der Abgeordnete Michael Kauch hat das erste Umweltprogramm der FDP federführend verfasst. Erneuerbare Energien sind nun kein Grünen-Blödsinn mehr. Vielmehr, sagt der 38-jährige Kauch, „brauchen sie besondere Förderung als heimischer Energieträger“ zwecks Unabhängigkeit von russischem Gas und arabischem Öl.

Gegen die industrielle Fischerei formuliert Kauch die – für FDP-Verhältnisse – wahre Kampfansage: „Es muss auch mal das individuelle Gewinnstreben zurücktreten.“ Zu sehr sei die FDP früher immer bloß über den Jürgen Trittin’schen Ökokurs hergefallen – ohne eigene Konzepte zu produzieren. „Die Intonierung, die wir in Abgrenzung zu Trittin gewählt haben, war nicht ganz richtig.“

Nun habe man zwar nicht das Ziel, die Grünen grün zu überholen, aber immerhin in der Kompetenzzuweisung „den Abstand zu verringern“ – auch zur Union. Die Markt- und Wahlforscher weisen der FDP ein Potenzial von 20 Prozent zu, wovon immerhin die Hälfte bei SPD, Grünen und auch Links-Wählern liegt. Nein, dies sei „keine kurzfristige neoökologische Aktion“, erklärt Kauch – in Anspielung auf Westerwelles Testballon, seine Partei für „neosozial“ zu erklären.

Die große Koalition wird die FDP mit dem Umweltthema freilich kaum stellen können. Und immer nur darüber zu jammern, dass Angela Merkel der FDP im Wahlkampf andere Versprechen gemacht hat, wird nicht für vier Jahre reichen. Möglicherweise aber kann eine Partei der Besserverdienenden in der Opposition gar nicht punkten. Wer nur mit den Gewinnern sein will, wirkt vielleicht nur glaubwürdig, wenn er selbst an der Macht ist.

ULRIKE WINKELMANN