Operation missglückt

VON ANNA LEHMANN

Acht Wochen gestreikt und immer noch kein Tarifvertrag: Ein Spitzengespräch zwischen dem Chef der Ärztevertretung Marburger Bund, Ulrich Montgomery, und Hartmut Möllring von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder endete gestern ergebnislos. Ein Termin für neue Gespräche steht noch nicht fest. Die Schuld für die verfahrene Situation sehen die Tarifpartner jeweils beim anderen. Montgomery sagte der taz: „Die Angebote, die Herr Möllring macht, sind nicht akzeptabel, weil viel zu niedrig.“

Die Ärzte der 35 Universitätskrankenhäuser und psychiatrischen Landeskrankenhäuser streiken seit dem 16. März für bessere Arbeitsbedingungen und Gehaltserhöhungen.

Der brandenburgische Finanzminister, Rainer Speer (SPD), erklärte gestern im Deutschlandfunk, die Länder seien an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten gegangen. Montgomery schlug vor, die Mehrausgaben auf die Versicherten umzulegen. Er halte Beitragserhöhungen für notwendig.

Die Verhandlungen scheiterten nach Angaben beider Partner am Gehalt für Berufsanfänger. Gegenwärtig verdient ein Absolvent der medizinischen Fakultät im ersten Berufsjahr ohne Bereitschaftsdienste rund 3.090 Euro brutto. Das entspricht dem Einstiegsgehalt für Akademiker im öffentlichen Dienst, etwa dem eines jungen Gymnasiallehrers. Die Länder hatten den Ärzten angeboten, 510 Euro draufzulegen. Damit käme ein frisch eingestellter Assistenzarzt auf 3.600 Euro im Monat und müsste dafür 42 Stunden pro Woche arbeiten. Bisher gilt – zumindest auf dem Papier – die 38,5-Stunden-Woche. Vom Status quo ausgehend würden junge Ärzte nach Rechnung der Arbeitgeber somit 16 Prozent mehr als bisher verdienen. Der Marburger Bund kommt in seinen Berechnungen aber nur auf 1 Prozent mehr Gehalt, da er die längere Arbeitszeit und das gestrichene Weihnachtsgeld mit berücksichtigt.

Die Lage verkompliziert sich, weil die Länder in den vergangenen zwei Jahren in unterschiedlicher Weise beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekürzt haben. So müsste das Land Sachsen-Anhalt seinen Ärzten am Uniklinikum Halle bei einem einheitlichen Tarifvertrag mehr zuzahlen als das Land Baden-Württemberg, damit die Hallenser auf dem Gehaltsniveau ihrer Kollegen in Tübingen sind. Die Unterschiede in den Ländern verhinderten eine einheitliche Linie der Arbeitgeber, kritisierte der Vorsitzende des Verbandes der Uniklinika (VUD), Rüdiger Strehl, in der taz. Zugleich kritisierte er den Marburger Bund: „Wer beim Ärztestreik von Sklavenaufstand spricht, hat kein Geschichtsbewusstsein und keinen Realitätssinn.“

Der Marburger Bund hatte seinen 22.000 Mitgliedern an den Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern zu Beginn der Streiks rund 30 Prozent mehr Gehalt in Aussicht gestellt. Nach dem Scheitern der Gespräche werden die Streiks verschärft.

Ab kommenden Montag legen die Ärzte eine ganze Woche die Arbeit nieder. Damit fallen aufschiebbare Operationen in der nächsten Woche ganz aus und werden nicht wie in den vergangenen Streikwochen üblich in der zweiten Wochenhälfte nachgeholt. „Notfälle werden behandelt, aber alles was medizinisch vertretbar ist, muss warten“, sagte Montgomery.

Der Vertreter der Unikliniken, Strehl, befürchtet dagegen „echte Versorgungslücken“. „Die Frage ist: Was passiert mit schwerstkranken Patienten? Wenn jemand mit starken Schmerzen am Darm kommt, ist eine Diagnose unter Umständen erst mittels einer Operation möglich“, sagte der kaufmännische Direktor des Universitätsklinikums Tübingen. Dem Klinikum Tübingen seien bisher 3 Millionen Euro infolge der Streiks entgangen, sagte Strehl. Er erwarte in der nächsten Woche Einnahmeausfälle von bis zu 2 Millionen Euro.