Musik aus dem Schlauch

AVANT AVANTGARDE Eine durchaus auch monotone Suche nach Experimenten der Vergangenheit im Berghain

Vor der Avantgarde ist nach der Avantgarde. Und die Neue Musik ist die Alte Musik von morgen. Die Suche nach neuen Klängen dürfte es jedenfalls schon so lange geben wie die Musik selbst. Eine Einsicht, die sich die Veranstalter des Festivals „Avant Avantgarde“ am Donnerstag im Berghain zu eigen machten, um die Zeit vor der Moderne, grob gesagt vor dem Jahr 1900, nach Inspiration für die Gegenwart abzusuchen.

Bei einem so theoretischen Ansatz droht leicht die Gefahr der konzertanten Lehrveranstaltung. Und obwohl der Abend nicht als Plattform für historische Aufführungspraxis von Frühformen experimenteller Musik gedacht war, hatte die Darbietung des Tartini Projekts etwa stark didaktischen Charakter. An Violine und Cello wurde ein Stück des Barockkomponisten Giuseppe Tartini gegeben, in dem man dessen Entdeckung der „Differenztöne“, also zusätzliche Töne, die beim Spielen bestimmter Zusammenklänge entstehen, anhörlich nachvollziehen konnte. Dazu hatte man allerdings die Musik so gründlich verlangsamt, dass sich auf halber Strecke eine gewisse Monotonie einstellte, so interessant das Phänomen als solches sein mag.

Dankbarer war da die Darbietung der beiden Veranstalter Marion Wörle und Maciej Sledziecki, die computergesteuerte Musikmaschinen präsentierten, die sie nach historischen Vorbildern konstruiert hatten. Es gab ein Carillon – eine Art Glockenspiel –, eine an ein Akkordeon erinnernde „Physharmonika“ oder diverse Monochorde – Instrumente mit nur einer Saite, mit denen Wörle und Sledziecki sehr schön die Grenze zwischen akustischer und elektronischer Musik verwischten. Gut auch, dass ihr Konzert nicht rein automatisch ablief, sondern die leicht spukhaften Apparate von ihnen „live“ angespielt wurden.

Der Auftritt des Ensembles Spat’Sonore hingegen verärgerte mit amorpher Langeweile, für die selbst der lustige Anblick ihrer Installation nicht entschädigen konnte. Quer über die Tanzfläche des Berghain hatten die Musiker Schalltrichter von Trompeten und Posaunen an Schläuchen im Raum verteilt, über die sie dann Quietsch-Spielzeuge, Trommeln oder andere Tonerzeuger ertönen ließen. Das Resultat war ein unverbindliches Zischen, Quäken und Klappern ohne akustischen Mehrwert. Hier und da wurde mit Platzpatronen geschossen. Statt Heiterkeit stellte sich aber bald der Verdacht ein, als Zuhörer nicht recht ernst genommen zu werden.

TIM CASPAR BOEHME