Kampf um die Weltmusik

Kaum Interesse an der musikalischen Begriffs-Klärung beim Symposium auf der Essener Zeche Zollverein

Weltmusik-Fans haben ein extremes Abgrenzungsbedürfnis. Das gilt auch für die TeilnehmerInnen des Symposiums „Weltmusik – ein Missverständnis?“, das am Wochenende im Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen stattfand. Dort diskutierten Musikwissenschaftler und Ethnologen über einen möglichen Schutz der Weltmusik vor zu viel „Bass und Beats“.

„Der Begriff Weltmusik hat für mich einen fahlen Beigeschmack“, sagte Barbara Wrenger, Musikethnologin aus Köln. Angesichts seines inflationären Gebrauchs versuche sie ihn zu vermeiden. „Wir dürfen uns den Begriff nicht wegnehmen lassen“, erwidert sofort ein Musiker aus dem Publikum. Die Musikwissenschaftlerin Britta Sweers träumt dagegen von einem „Fair-Trade-Label“ in der Weltmusik, „ähnlich, wie man jetzt Öko-Produkte auszeichnet“.

Organisiert wurde die Veranstaltung vom NRW-KULTURSekretariat in Wuppertal innerhalb ihrer Musik-Reihe „das 3. Ohr“ ins Leben gerufen hat – eine interkulturelle Initiative, die den Spaß am gemeinsamen Musizieren fördern soll. Eine breite Debatte wurde in den Räumen des Essener Tanz-Zentrums PACT Zollverein aber nicht losgetreten. Das Interesse an dem Symposium hielt sich in Grenzen: Neben den zehn Referenten waren nur zwei Dutzend Zuhörer gekommen. Gegen wen es sich abzugrenzen gilt, wird bereits aus der Einladung klar: Die Sache der Weltmusik könnte auf einem fatalen Missverständnis beruhen: eine unübersichtliche Vielfalt von Musiken wurde womöglich auf den einfachsten Begriff der Tanzbarkeit und Konsumierbarkeit reduziert.

Westliche Popmusik, mit womöglich elektronisch produzierten Ethno-Sprengseln, soll eben keine Weltmusik sein dürfen. Alain Weber, Organisator eines Zigeuner-Musikfestivals in Paris, betont aber, dass es nicht nur um Begrifflichkeiten ginge: „Durch das ganze Sampling verlieren sich die Wurzeln der Musik“, sagt Alain Weber. Die Kommerzialisierung wirke sich schon so aus, dass in bestimmten Kulturen viele Melodien und Instrumente vom Aussterben bedroht seien.

Und so spielten an den Abenden das Ensemble Kasyna aus Schymkent, der südlichsten Stadt Kasachstans auf kasachischen Instrumenten. Benjamina. Andriamalala alias Benja Gasy aus Madagaskar führte die „Begah“ vor, ein von ihm selbst entwickeltes und auf der Insel inzwischen weit verbreitetes Saiteninstrument und zum Abschluss präsentierte die Kwela Heritage Jazzband (Malawi) die südafrikanische Kwela-Flöte, die der irischen Tin-Whistle vergleichbar ist.

Der Argwohn gegen Kommerz-Weltmusik erklärt auch, warum ein Vertreter des Kultursenders WDR 3 und nicht einer des Multi-Kulti-Senders Funkhaus Europa die Diskussion moderierte. Darüber regte sich wiederum ein Student Mitte 20 aus dem Publikum auf: „Sie sprechen immer von einem Dialog, warum ist hier niemand von Funkhaus Europa?“, sagte er. Die Diskussion sei ihm zu abgehoben. Für ihn sei „gesampelte Musik genauso wertvoll und innovativ wie hausgemachte.“

Christian Esch, Direktor des Kultursekretariats, muss ein Deja Vue erlebt haben: Bei der ebenfalls von ihm organisierten Diskussion vor zwei Jahren auf der Weltmusik-Messe „WOMEX“ hatte am selben Ort die gleiche Diskussion stattgefunden. Dort wurde zusätzlich von Sozialpädagogen bemängelt, dass etwa Rap, den Migrantenkinder von sich aus produzierten, mehr gefördert werden müsse – statt das Geld nur in ethnische abgehobene Musik für gebildete Deutsche zu stecken. Die Ressourcen, die Migranten durch ihre Steuergelder seit Jahrzehnten auch im Bereich der Kultur aufgebracht haben, müssten endlich auch ihnen zur Verfügung stehen, auch das hatte damals ein Besucher eingeworfen.

Doch Esch wollte sich auch dieses Mal nicht sagen lassen, er gehe einem Dialog mit den Vertretern der Mainstream-Weltmusik aus dem Weg: Bei der WOMEX-Diskussion habe man damals das Funkhaus Europa eingeladen, es sei aber niemand gekommen. „Da ist keine Mauer, das sind nur unterschiedliche Wellen“, sagt Esch.

NATALIE WIESMANN