Irans Atomprogramm macht Pause

IRAN Teheran stellt die Urananreicherung für sechs Monate ein, dafür lockern EU und USA die Sanktionen gegen das Land – darauf wollten sich beide Seiten gestern bei den neuen Atomgesprächen in Genf einigen

„Ich bin völlig fassungslos. Das ist ein monumentaler Fehler. Für den Iran ist es der Deal des Jahrhunderts“

ISRAELS PREMIER BENJAMIN NETANJAHU

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Durchbruch nach acht Jahren erfolgloser diplomatischer Bemühungen: Bei den Genfer Verhandlungen der fünf Vetomächte des UN-Sicherheitsrats und Deutschlands (P5+1) mit Iran über Teherans umstrittenes Atomprogramm zeichnete sich gestern kurz vor Redaktionsschluss eine erste Vereinbarung ab.

Auf dem Verhandlungstisch lag der Entwurf für eine Übergangslösung. Danach würde Iran für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten einige oder gar sämtliche derzeit laufenden Aktivitäten seines Atomprogramms einstellen. Im Gegenzug würden USA und EU für denselben Zeitraum einige der von ihnen gegen Iran verhängten Sanktionen aussetzen sowie einen Teil der eingefrorenen iranischen Auslandsguthaben freigeben. Mit einer solchen Übergangslösung würde Zeit gewonnen für die Aushandlung eines umfassenden Abkommens zur endgültigen Beilegung des Streits über das iranische Atomprogramm.

Konsens war nach übereinstimmenden Angaben von Diplomaten Irans und der P5+1-Staatengruppe, dass Teheran unter einer Übergangsvereinbarung auf jeden Fall die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent beenden sowie seine bereits auf 20 Prozent angereicherten rund 240 Kilogramm Uran unter strikte Kontrolle der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) stellen würde. Zudem würde Teheran den kurz vor der Vollendung und Inbetriebnahme stehenden Bau des Schwerwasserreaktors in Arak stoppen. Damit wäre garantiert, dass Teheran keine atomwaffenfähiges Spaltmaterial herstellen könnte – weder auf 90 Prozent angereichertes Uran noch Plutonium.

Diskutiert wurde zuletzt noch, ob Iran auch die zur Herstellung von Brennstäben für Kernkraftwerke erforderliche Anreicherung von Uran auf lediglich 5 Prozent einschränkt sowie auf die weitere Installierung von Zentrifugen in seinen Urananreicherunganlagen Natans und Fordo verzichtet.

Im Gegenzug würden USA und EU Reisebeschränkungen für iranische Offizielle zeitlich befristet aufheben und eingefrorene iranische Auslandsguthaben in Höhe von bis zu 50 Milliarden US-Dollar freigeben.

US-Präsident Barack Obama betonte in einem NBC-Interview, dass sämtliche bislang verhängten Sanktionen aber in Kraft blieben. Sie würden verschärft, wenn der Iran seinen Verpflichtungen nicht nachkomme.

Westliche Diplomaten am Genfer Verhandlungstisch erklärten, dass die für die iranische Wirtschaft besonders empfindlichen Sanktionen gegen die Erdöl- und Erdgasindustrie sowie gegen den Banken- und Finanzsektor des Landes erst im Fall eines endgültigen, umfassenden Abkommens mit Teheran gelockert und erst nach vollständiger Umsetzung dieses Abkommens durch die iranische Seite aufgehoben werden sollen.

Zur Klärung letzter strittiger Details und zur Unterzeichnung eines eventuellen Abkommens mit dem iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif traf am Freitagnachmittag US-Außenminister John Kerry in Genf ein.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu kritisierte ein mögliches Übergangsabkommen zwischen den P5+1 und Iran gestern bei einem kurzen Treffen mit Kerry auf dem Flughafen Tel Aviv scharf. Einen gemeinsamen Presseauftritt sagte Kerry daraufhin kurzfristig ab, um einen öffentlichen Streit mit Netanjaju zu vermeiden.

Schon am Vortag hatte der israelische Premier seinem Ärger über ein mögliches Zwischenabkommen mit dem Iran Luft gemacht. „Ich bin völlig fassungslos. Das ist ein monumentaler Fehler“, schimpfte er. „Für den Iran ist es der Deal des Jahrhunderts, weil der Iran nichts gibt und den ganzen Druck aus dem Dampfdruckkocher der Sanktionen herausbekommt.“