Hoffnung in Halle

Die Ostwind-Reihe von RBB und ZDF erzählt im Plattenbau-Epos „Hallesche Kometen“ von der zarten Schönheit der Chance (23 Uhr RBB, 00.25 ZDF)

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Halle-Neustadt, schrumpfende Stadt. Ringsherum werden die Plattenbauten abgetragen, vergorene Utopien, nicht reif fürs Museum. Sondern nur für die Deponie. Mittendrin sitzen Vater und Sohn und versuchen, das Vakuum zwischen ihnen mit Liebe zu füllen. Noch mehr Liebe, noch mehr Verständnis, bis zum großen Knall. Aber auch den hat wahrscheinlich niemand gehört. Weil nebenan die Bagger tosen. Auch die Menschen werden immer blasser. Der Vater, Karl, wäre am liebsten unsichtbar.

Susanne Irina Zacharias’ „Hallesche Kometen“ beginnt mit lakonischen Blicken und kleinen Gesten. Das Fernsehdebüt der jungen Regisseurin ist kein Katastrophenfilm aus dem sozialen Ghetto, schon eher eine zarte Liebeserklärung an die Schönheit der Chance. Ihr Film erzählt von einer Hoffnung, die aus den Menschen selbst kommt. Keine blühenden Landschaften, sondern zarte Knospen, die fest entschlossen sind, sich durch den Beton zu bohren.

So einer ist Ben. Ein „Good Will Hunting“ der Vorstadttristesse. Vor ein paar Jahren hat er einen Wettbewerb für Reisereportagen gewonnen: „Ungarn at its best“. Ein doofer Titel, eine große Sehnsucht: Halle-Neustadt hinter sich lassen, neue Welten entdecken. Er träumt sich in die Reiseprospekte, die er nach der Schule ausliefert. Im verrosteten Polo, falls der Wagen anspringt.

Und Ben findet seine Prinzessin, findet Jana – ausgerechnet bei einer Autopanne. Sie fährt das BMW Cabrio der Mutter. Und darf Sabine zur Mutter sagen, weil das Sabine, antiautoritär erziehend, so will. Auch Ben nennt seinen Vater manchmal beim Vornamen. Immer dann, wenn dieser seine Vaterrolle so ganz und gar aufgegeben hat. Seit kurz nach der Wende ist Karl arbeitslos. Seit dem Unfalltod seiner Frau hat er sich zunehmend aufgegeben. Immer wieder projiziert er die Super-8-Aufnahmen aus dem letzten gemeinsamen Ungarn-Urlaub auf die verschlissene Raufasertapete.

Der Halleysche Komet hat einmal eine ganze Epoche in Schrecken versetzt. Eine Angst davor, dass etwas passieren könnte. „Hallesche Kometen“ funktioniert genau andersherum – schrecklich ist vor allem, dass nichts passiert. Dass die Träume Träume bleiben und der arbeitslose Karl lieber im Bett als auf Jobsuche. Nur der Basketballkorb zwischen den Häuserfluchten verrostet jeden Tag ein bisschen mehr.

Dieses Bild wiederum könnte leitmotivisch für viele Filme der „Ostwind“- Reihe stehen, die der RBB gemeinsam mit dem kleinen Fernsehspiel des ZDF seit drei Jahren genauso engagiert wie erfolgreich realisiert. Oft erzählen sie von Verlierern und einer verlorenen Zeit. Gleich zu Beginn etwa „Berlin is in Germany“ mit einem großartigen Jörg Schüttauf in der Hauptrolle. Oder „Mit Ikea nach Moskau“, einem liebevoll-ironischer Blick auf globalisierte Billy-Regale und konfektionierte Träume.

Die in diesen Tagen ausgestrahlte dritte Staffel der Reihe hat sich dem Alltag an den Rändern angenommen: „Kombat Sechzehn“ und „No Exit“ begaben sich – mal fiktional, mal dokumentarisch – mitten hinein in das Säbelrasseln rechtsradikaler Männerbünde an der deutsch-polnischen Grenze. Zwei Filme, die auch die Ängste derer in Bildern fassen, die sonst immer nur selbst Angst und Schrecken verbreiten. „Adil geht“ (Mo., 22. Mai, 23.00 Uhr RBB, 00.05 ZDF) erzählt in der kommenden Woche die Geschichte einer Abschiebung und mehr noch die Geschichte einer gelungenen Integration, einer jungen Liebe und eines großes Talents. Adil ist ein Tänzer, ein Breaker – „Adil geht“ ist deshalb auch ein Tanzfilm geworden, hin und wieder ziemlich nah am Klischee. Aber daran haben sich reale Abschiebepraktiken ja auch nie gestört.

„Kommst du noch mit nach oben?“, wird Jana in einem der eindrücklichsten Momente von „Hallesche Kometen“ einen zunehmend verstörten Ben fragen, im Hintergrund das schmucke Einfamilienhaus der Wendegewinner, das Cabrio in der Einfahrt geparkt. „Kommst du mit nach oben?“, das ist die Schlüsselfrage dieses Films, die Schlüsselfrage einiger Leben, die lange genug down gewesen sind.