Wenn ich wieder jung wär

HIPPEN rät ab In „Vertraute Fremde“ wird ein 50-Jähriger plötzlich in seine eigenen Jugend zurückversetzt. Am Sonntagabend ist Regisseur Sam Garbarski in der Gondel zu Gast

Jedes Sommerkleid, jedes Schwarzweiß-Fernsehgerät, jede Kaffeekanne passt so perfekt, dass die Kulisse droht, den Akteuren die Show zu stehlen

VON WILFRIED HIPPEN

Die eigene Kindheit noch einmal erleben! Jetzt aber mit dem Bewusstsein des erwachsenen Ichs, sodass man die falschen Entscheidungen von einst revidieren, die Unglücksfälle verhindern und so sein Leben in andere, glücklichere Bahnen lenken kann. Diese Chance erhält der 50-jährige Comic-Zeichner Thomas, als er eines Tages in den falschen Zug steigt und sich plötzlich in dem Örtchen wiederfindet, in dem er seine Kindheit verbrachte. Auf dem Friedhof, am Grab seiner früh verstorbenen Mutter, fällt er in eine tiefe Ohnmacht, aus der er in den frühen 60er Jahren als 14-Jähriger aufwacht.

Diese reizvolle Grundidee hat der Regisseur Sam Garbarski aus dem gleichnamigen Comic des Japaners Jiru Taniguchi übernommen, der übrigens in einem Kurzauftritt während der Zugfahrt mit seinem Helden einen Blick tauscht. Und auf der Bildebene hat der Film auch seine Stärken. Thomas landet bei seiner Zeitreise in einem idyllischen, sehr bunten Bilderbuchdorf, in dessen Straßen die schönsten Autos aus jener Zeit über das Kopfsteinpflaster fahren, und das auch sonst mit den vielen, geschickt ins Blickfeld gerückten Requisiten ein Triumph der Ausstattung ist. Jedes Sommerkleid, jedes Schwarzweiß-Fernsehgerät, jede Kaffeekanne passt da so perfekt, dass die Kulisse manchmal droht, den Akteuren die Show zu stehlen. Dabei sieht man auch den Schauspielern gerne zu. Alexandra Maria Lara mag zwar nur deshalb besetzt worden sein, weil der Film auch mit deutschen Fördergeldern finanziert wurde, aber mit ihren großen Augen gibt sie eine schöne, sanfte Mutter.

Seltsam ist nur, wie wenig hier aus der so fruchtbaren dramaturgischen Situation gemacht wurde. Thomas weiß, dass er genau in der Woche wiedergekehrt ist, in der sein Vater auf mysteriöse Weise verschunden ist. Da seine Mutter dies nie überwunden hat, sollte er versuchen, die Geschehnisse zu ändern, aber stattdessen lässt Garbarski ihn wie einen Schlafwandler durch seine eigene Kindheit spazieren und mit den Paradoxien seiner Situation spielen. So sagt er seiner kleinen Schwester, welchen Beruf und wie viele Kinder sie einmal haben wird, erzählt einem Freund begeistert, einer seiner vielen herumliegenden Comics wäre ein seltenes Sammlerstück das einmal sehr wertvoll werden würde und verblüfft alle mit der Prophezeiung, die Menschen würden bald auf dem Mond landen. Mit dem Selbstbewusstsein eines Erwachsenen traut er sich nun die von ihm immer nur scheu verehrte Jugendliebe anzusprechen, aber auch daraus entwickelt sich keine dramaturgisch interessante Wendung. Stattdessen ruft der 14-Jährige lieber ein kleines Mädchen an und sagt ihr, er würde sie in einigen Jahrzehnten heiraten. Die Geschichte verliert sich in diesen geistreichen Wendungen und so bleibt Thomas die Figur in einem Gedankenspiel, an dem der Zuschauer kaum ein tieferes Interesse aufbauen mag.

Dies zeigt sich auch bei der Auflösung, die nur deswegen nicht vorhersehbar war, weil man dem Regisseur solch einen billigen und uralten Trick einfach nicht zugetraut hat. Wenn schon mit der Idee eines parallelen Lebens gespielt wird, warum es dann nicht radikal zu Ende denken? Was wäre etwa, wenn Thomas wirklich eine glücklichere Version seiner Jugend gelungen wäre? Dann hätte er wohl nie seine Frau getroffen, die beiden Töchter wären nie geboren worden und er wäre so vielleicht einsam und verbittert geworden. Hier kommt er nur etwas später nach Hause, wird wohl für ein paar Tage lang netter zu Frau und Kindern sein und schließlich den Comic „Vertraute Fremde“ zeichnen. Aber der entpuppt sich durch dieses Ende als banale Träumerei.