„Du, 500 Euro – das mobilisiert“

INTERVIEW: SEBASTIAN HEISER UND KLAUS JANSEN

taz: Eine Demo in Düsseldorf – haben Sie sich da nicht im Ort vertan?

Till Kühnhausen: Wieso? Es ist doch klar, dass das Gesetz für Studiengebühren aus Düsseldorf kommt. Zwar hat es die Landesregierung ganz geschickt geschafft, den Universitäten die Schuld zuzuschieben, indem sie die Senate selbst entscheiden lässt. Aber die Verantwortlichen sind zumindest nicht in erster Linie die Rektoren, sondern Jürgen Rüttgers als Ministerpräsident und Andreas Pinkwart als Wissenschaftsminister.

Aber im Zeitpunkt liegen Sie nicht ganz richtig. Das Gesetz ist schon lange durch...

Es hat auch im vergangenen Jahr landesweite Demonstrationen in Düsseldorf mit 3.000 oder 4.000 Leuten gegeben. Aber es stimmt: Je konkreter es für die Studierenden wird, dass ihnen bald das Geld aus der Tasche gezogen wird, desto eher wehren sie sich dagegen. Es ist jetzt leichter, zu Demos mobilisieren.

Lassen sich die Studierenden nur bewegen, wenn es Ihnen ans Konto geht?

Das glaube ich nicht. Ich finde es auch nicht besonders schön, dass die Proteste erst jetzt so richtig funktionieren. Aber es geht auch nicht nur um Studiengebühren: Die sind nur ein Symptom einer neuen Politik. Das neue Hochschulfreiheitsgesetz etwa ist in seinen Auswirkungen noch viel krasser. Nur ist es schwer zu erklären, was da auf die Unis zukommt. Studiengebühren sind da weniger abstrakt. Da kann man sagen: „Du, 500 Euro!“. Damit lässt sich mobilisieren. Es wäre blöd, dieses Potenzial nicht zu nutzen.

Die Proteste verlaufen auffällig dezentral. Gibt es eine neue Protestkultur?

Das ist mir zu hoch gegriffen. Aber einiges hat sich schon geändert: Es gibt keine koordinierten Aktionen mehr, der Widerstand entwickelt sich spontan an in kleinen Gruppen an den Unis.

Die gewählten ASten halten sich zurück.

Das liegt daran, dass die meisten von ihnen unpolitisch sind.

Also übernehmen jetzt die Radikalen?

Natürlich wird der Protest radikaler. Man wird immer wütender, wenn man es immer wieder versucht, und nichts passiert. Wir müssen die Protestformen ändern, um gehört zu werden.

Welchen Sinn macht es, einen Senatssaal zu sprengen, die Senatoren und den Rektor einzusperren und laut gegen die Fenster zu schlagen?

Wir wollten den Professoren zeigen, wie es ist, wenn man in der Unterzahl ist. Wie es ist, wenn man nicht in der Lage ist, Argumente vorzutragen. Unsere studentischen Vertreter sitzen im Senat seit Jahren sieben Professoren gegenüber. Wir können reden, was wir wollen, und niemand hört zu. Diese Struktur ist vollkommen undemokratisch, und das wollten wir die Professoren spüren lassen. Außerdem hat der Rektor die Tür selbst hinter sich zugemacht – ich würde da nicht von einsperren sprechen.

Und die FDP-Zentrale in Köln? Ist es politisch, da einzudringen und Geld aus der Kaffeekasse zu nehmen?

Damit bezahlen wir jetzt unsere Studiengebühren (lacht). Nein, Spaß beiseite. Ich weiß nichts von einer Kaffeekasse. Es ist schon ein bisschen lächerlich, was da so über uns verbreitet wird. Angeblich sind wir ja alles Autonome, die tagsüber protestieren und abends im besetzten Barmer Block übernachten. Das ist totaler Quatsch. Das Neue ist gerade, dass bei uns viele Leute sind, die eigentlich unpolitisch sind. Unsere Gruppe besteht im Kern aus 80 Studierenden, und davon sind nur zwei oder drei in der SAV oder ähnlichen linken Gruppen.

Besetzer-Kollegen haben einen Song von Rio Reiser gecovert. Ist das nicht altlinke Folklore?

Dem Song würde ich keine so große politische Bedeutung beimessen. Das war eine Idee von ein paar Leuten. Die sind schnell ins Studio gelaufen und haben das aufgenommen.

Beziehen Sie sich bewusst auf Gestus und Symbole der 68er?

Nein. Ich sehe mich nicht in irgendeiner Tradition. Aber wenn wir die Masse von 1968 erreichen würden, wäre das natürlich schön.

Besetzungen, Rio Reiser – verengt sich der Kreis der Mitstreiter denn nicht, wenn solche Symbole aufgegriffen werden?

Das hat immer noch seine Wirkung. Die Besetzung in Köln war erfolgreich und hat die Studierenden unheimlich politisiert. Ich denke nicht darüber nach, ob ich das mache, weil das vor 35 Jahren schon einmal jemand gemacht hat. Außerdem haben die Leute 1968 nur zwei Tage ausgehalten – da waren wir schon viel besser.

Trotzdem: Sind Besetzungen die einzige Alternative? Hätte man nicht viel mehr versuchen müssen, die Uni-Leitungen als Verbündete gegen die Landesregierung zu gewinnen?

Es gibt in den Senaten keine Mehrheiten gegen Studiengebühren. An manchen Universitäten gibt es Einzelne, die dagegen sind – aber nur die Wenigsten trauen sich überhaupt, den Mund aufzumachen. Die Rektoren sind bis jetzt jedenfalls nicht damit aufgefallen, dass sie besonders kritisch sind. In Köln wäre niemand bereit gewesen, mit uns zum Landtag zu fahren. Wenn unser Rektor Axel Freimuth das Wort Autonomie hört, findet der das erstmal per se super. Er ist kein Ansprechpartner.

Die Gebühren werden kommen. Und weil Sie das Gespräch verweigern, sitzen Sie nicht mit am Tisch, wenn es um die Ausgestaltung geht.

Es wäre ein gefährliches Signal, sich mit den Gebühren abzufinden und nur noch zu diskutieren, ob sie 400 oder 500 Euro hoch werden. Damit würden wir unseren Argumenten auch die Legitimation entziehen.

Sind Sie sicher, dass die Mehrheit der Studierenden die Totalverweigerung unterstützt – oder sehen Sie sich als Avantgarde?

Als Avantgarde nicht. Ich glaube, dass es eine Mehrheit gegen Studiengebühren gibt. Aber selbst, wenn das nicht so wäre: Protest wird nicht dadurch weniger legitim, dass er nicht die Mehrheit repräsentiert. Selbst wenn es nur 40 Prozent der Studierenden gegen Studiengebühren wären, dürften wir demonstrieren.

Schließt Fundamentalopposition nicht zu Viele aus?

Das ist ein Problem, das wir lange diskutiert haben. Wir haben ein Flugblatt gemacht, in dem wir ausführlich durchargumentieren, weshalb wir es für sinnvoll halten, nicht zu verhandeln.

Bis jetzt werden die Unis durch Steuern finanziert. Wie erklären Sie denn auf Flugblattlänge, warum ein Fliesenleger die Ausbildung eines Lehrerkinds finanzieren soll?

Das Argument ist populistisch. Es ist ja nicht von vornherein vorgesehen, dass das Kind des Fliesenlegers gar nicht erst auf die Idee kommen könnte, zu studieren. Das vorauszusetzen, finde ich merkwürdig.

Faktisch ist das aber leider so. Kann man darüber einfach hinweggehen?

Das tut doch niemand. Man muss das genau andersrum aufzäumen: Durch Studiengebühren würde der Zugang für sozial Schwache zu Hochschulen noch erschwert. Dass dieses Argument immer verdreht wird, habe ich noch nie verstanden.

In Frankreich haben Studierendenproteste die ganzen Republik beschäftigt. Ist das ein Vorbild?

Frankreich hat uns auf jeden Fall gelehrt, eng mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten. Wir haben zum Beispiel von Anfang an Kontakt zu den Streikenden von Ver.di an der Kölner Uni-Klinik gesucht. Dass daraus aber auch in Deutschland eine Bewegung wie in Frankreich werden kann, glaube ich nicht.

Also sind die Besetzungen und Demonstrationen nur ein letzter Aufschrei, und es verändert sich nichts?

Es gibt natürlich die Hoffnung, noch etwas zu bewegen. Wenn wir das nicht mehr glauben würden, würden wir das nicht machen.