ausgehen und rumstehen
: Probleme mit der Optik

„Ich fühle mich optisch nicht in der Lage, heute Abend wegzugehen“, sagt Johanna. Sie steht in Jogginghose und Schlabber-T-Shirt vor dem Spiegel, hält ihre Haare mit einer Hand nach oben und sieht sich unglücklich an.

Es ist Freitagabend, und wir sind in einer halben Stunde mit Nico, Eva und Markus verabredet. Seit Johanna auf die dreißig zugeht, hat sie solche Zweifel etwas öfter.

Ich bleibe ruhig und lenke ihre Gedanken behutsam aus diesem gefährlichen Gewässer, indem ich von der milden Mainacht schwärme und ihr ganz nebenbei ein paar Komplimente mache, die ich wie Asse unbemerkt aus dem Ärmel ziehe.

Es funktioniert.

Nachdem sie sich umgezogen hat, machen wir uns auf den Weg zur LOLLA Orient Lounge in den S-Bahn-Bögen am Hackeschen Markt. Nico, Eva und Markus sind schon da und haben bereits eine Shisha vor sich stehen. Apfeltabak, der Klassiker.

„Sorry wegen der Verspätung“, sagt Johanna. „Ich hatte ein paar optische Probleme.“

„Du auch?“, sagt Nico, und da fällt mir auf, dass er eine Sonnenbrille trägt.

Er hat beim Basketballspielen einen Ball auf seine Brille bekommen, und die einzige Ersatzbrille mit passender Sehstärke ist seine Sonnenbrille. Immerhin scheint er sein Missgeschick mit Humor zu nehmen, denn sein Outfit passt zur Sonnenbrille: Sein Hemd ist gefährlich weit aufgeknöpft und die Haare sind weit nach hinten gegelt.

Wir rauchen Shisha, trinken Bier in langen Schlucken und legen immer wieder die Köpfe zurück in den Nacken. Von drinnen weht arabischer Pop zu uns heraus. Die Nacht ist angenehm weich und hat genau die richtige Konsistenz. Nico lässt den Rauch langsam aus seinen Nasenlöchern strömen und erzählt uns von seinen neuen Basketballschuhen und wie schwer es war, sie zu bekommen, weil die meisten Basketballschuhe nur so aussehen wie Basketballschuhe, zum Basketballspielen aber völlig ungeeignet sind. Nach einer kleinen Odyssee durch eine ganze Reihe von Berliner Sportgeschäften hat er schließlich welche in einem Laden in Spandau gefunden.

Das Ganze hört sich nach einer ziemlich miesen Verschwörung der Basketballschuhindustrie an. Es scheint, als würden sie ihre Schuhe nur noch für fastfoodsüchtige, übergewichtige Jugendliche fabrizieren und überhaupt nicht mehr für echte Sportler.

Eva zeigt mit dem Finger in den Himmel, wo der Mond wie eine gelbe saftige Pampelmuse hängt. Ein Stück daneben, auf dem Alexanderplatz, leuchtet der Fernsehturm in Pink, und Eva sinniert laut darüber nach, was der Mond wohl beim Anblick dieser rosa Hormonkugel denkt. Ich glaube, er nimmt das ziemlich gelassen, weil er weiß, dass er den längeren Atem hat und diese rosa Kugel es nicht mehr lange machen wird.

Drinnen wirbelt jetzt eine Bauchtänzerin. Sie schwebt an den Tischen entlang, und nachdem wir uns alle die Augen nach ihr verrenkt haben, kommt sie schließlich auch nach draußen zu uns. Jetzt beneide ich Nico darum, dass er eine Sonnenbrille auf seiner Nase hat. Später beratschlagen wir, was wir mit der restlichen Nacht anstellen. „Wegen mir können wir noch in dieses Dunkelrestaurant gehen“, witzelt Nico. „Oder in einen Darkroom.“ Letztendlich gehen wir ins Bassy‘’s, weil es direkt nebenan ist, und weil sich dort Johnny No die Ehre gibt, dessen Musik wir alle mögen. Außerdem ist es ein reizvoller Weltenwechsel. Orient und Okzident liegen so nur ein paar Schritte auseinander.

Während des Konzerts trinke ich mehrere Biere, um meinen Flüssigkeitshaushalt auszugleichen, und irgendwann sehe ich Johnny No doppelt auf der Bühne. Jetzt habe ich auch Probleme mit der Optik, denke ich, und das ist auch gleichzeitig mein letzter Gedanke an diesem Abend.

DANIEL KLAUS