Die wahre Königin

Post aus Athen: Die Favoritin des Grand Prix kommt aus Schweden und ist durchgeknallt. Aber singen kann sie

Was soll sie auch sagen, diese Frau, die schon jeden Hohn ertragen musste? Seit 1983 ist sie Teil des skandinavischen Showbusiness – die Zeitung Expressen meint sogar, nicht Silvia, sondern Carola (geb. und nach Scheidung wieder: Häggkvist) sei die wahre Königin Schwedens. Jetzt erzählt sie: „Ich bin glücklich, dass auch etablierte Künstlerinnen wie Anna Vissi am Song Contest teilnehmen.“ Und sie ja auch. Anders als ihre griechische Kollegin ist sie aber erst 39 Jahre.

1983 war es, da nahm sie am schwedischen Vorentscheid zum (so hieß das damals noch) Grand Prix Eurovision teil. Mit „Främling“, einem frischen Teenagerschlager, siegte sie beim „Melodifestival“ haushoch. Irritierend nur, dass sie ihren Sieg (und den späteren dritten Platz in München) Gott widmete und ebenso freimütig beichtete, sich Kraft aus der Bibel zu holen – und nur von dort. Die Nation tat das als pubertätstypischen Spleen ab. Auch dass Carola an Himmel & Hölle glaubte – und in den Bee Gees, die mit ihr ein Album produzierten, Wiedergänger der Heiligen Drei Könige sah.

Dann tauchte sie unter – und stieg aus der Versenkung wieder auf, das war 1990. Beim schwedischen Vorentscheid wurde sie Zweite – und wer das in Schweden mitbekommen hat, weiß, dass auch dieses kühle Land sich entschlossen Hysterien hingeben kann: „Carola är tilbaka“, die Königin ist wieder auf dem Thron.

Und als sie dann 1991 zunächst in Schweden gewann – und dann auch in Rom („Fangad av en stormvind“), da war’s um das Land irgendwie geschehen: Eine übergeschnappte Carola ließ sich in der italienischen Hauptstadt durch einen Megaföhn Wind in die Frisur blasen. Sah schnittig aus, aber weniger sympathisch wirkte, dass sie nun durch homophobe Sprüche auffiel. Blöd für sie, dass man von ihr heimlich Tonaufnahmen machte: bei der täglichen Bibelarbeit. „Wem gilt das Stöhnen?“, fragte Aftonbladet anzüglich.

Dieses Jahr ist sie wieder dabei, hat viele Jahre hinter sich, in denen sie zu einer Art Heiligkeit wurde, all der Engagements wegen. Sie klagt auch nicht, mit ihrem Song „Invincible“ erst durchs Halbfinale zu müssen („Das müssen andere auch“), und Schweden liegt ihr, der Favoritin in Athen, zu Füßen: Jetzt gilt sie als Eigenbrötlerin, gerade weil sie ihre homophoben Statements nicht lassen kann. Jetzt nimmt man ihr die fast psychotisch anmutende Glaubensstärke nicht mehr übel, kein Stirnrunzeln ob ihrer Mission – man genießt sie wie eine, die nicht mehr alle beisammen hat, doch das glamourös. Aber singen kann sie, als ginge es ums Letzte, Kuschelweisen, Rock, Soul, Gospel, Pop, Schlager. Carola gestern: „Ich fühle mich wohler denn je. Meine Stimme hat mir der Herr geschenkt. Lasst uns beten.“ Grandios selbstbestimmt!

JAN FEDDERSEN