ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS
: Im Visier des Geheimdienstes

Meine Telefongespräche werden aufgezeichnet. Macht nichts. Jeder darf es wissen: Ich will kein Isolierfenster

In meiner neuen Heimat, einem Überwachungsstaat namens USA, wurde letzte Woche bekannt, dass offenbar so gut wie alle Telefongespräche von den Geheimdiensten irgendwie gespeichert werden. Die offizielle Erklärung dazu war kompliziert und sollte wohl beruhigen, denn es hieß, die Geheimdienste würden sich ja gar nicht dafür interessierten, was gesagt wird, sondern nur, wer was zu wem sagt. Na dann, was für ein Glück.

Ich habe natürlich gleich meine sechs Monate in diesem Land Revue passieren lassen und überlegt, welche Kommunikationsmuster die Datengräber des „Kriegs gegen den Terror“ bloß bei mir finden könnten. Heraus kam Folgendes: Hauptsächlich telefoniere ich mit den Aboabteilungen meiner beiden Tageszeitungen. Sie rufen mich wöchentlich an und wollen mir ein Kennenlernangebot schenken – was ich jedes Mal mit dem freundlichen Hinweis, die Zeitungen längst abonniert zu haben, ablehne.

Die zweithäufigsten Gesprächspartner heißen alle Larry oder Gerry und bieten in erstaunlich beharrlicher Weise Isolierfenster oder Kredite an. Kaum ist mein Kontostand auf null gesunken, ruft auch schon ein Larry oder Gerry an, um mir mit dröhnender Stimme Abhilfe zu versprechen. Seinen Redefluss, fand ich nach einigen Monaten heraus, kann ich nur zum Versiegen bringen, wenn ich erfreut sage, dass ich gerne einen ganz großen Kredit hätte, denn ich sei Palästinenserin und bräuchte jetzt sofort viel Geld. Es folgt meist ein „Thank you, Ma’am“ und Schluss. Araberin sein ist heutzutage keine gute Idee; vorzugeben, eine zu sein, vielleicht auch nicht.

Mit den Gerrys von den Isolierfensterfirmen ist es schwieriger. Mein Argument, ich lebe im Souterrain und habe kaum Fenster, ist nicht schlagkräftig genug. Kaum habe ich sie schließlich mit drohenden Worten abgewimmelt, ruft auch schon die nächste Firma an, um zu wissen, ob Larry oder Gerry auch kundenorientiert waren, wie „nett“ ich sie auf einer Skala von eins bis zehn fand und ob sie mich über das Angebot ausreichend aufgeklärt haben.

Ja, ich kann nur hoffen, dass die Lauscher und Datenwühler bei mir nichts Auffälliges finden – schließlich bin ich eine Person mit einem stabilen Netz aus regelmäßigen sozialen Kommerz-Kontakten. Im Internet ist es noch besser. Denn nicht nur die Regierung, sondern auch die Firmen sammeln hier mit Akribie meine Daten. Das dürfen sie, denn ich bin ja, garantiert durch die amerikanische Verfassung, ein freier Mensch, was so viel heißt wie: Ich muss mich selbst davor schützen.

Besonders en vogue ist eine Web-Software, die meinen Geschmack bei Büchern und Filmen studiert, die sich merkt, welchen Jogurt ich kaufe und welche Jeansmarke ich trage, um daraus dann eigenständig Vorschläge zu formulierten, die mir bei meinem nächsten Einkauf unterbreitet werden. „Sie haben gerade einen Erdbeerjogurt gekauft. Andere Kunden, die dieses Produkt kauften, waren auch begeistert von unserem neuen Pfirsich-Vollwaschmittel“. Diese Sinnlos-Offerten bescheren den Online-Krämern angeblich einen „signifikant höheren Umsatz“ – oder auch das Gegenteil. Die Schlagzeilen dazu sind schon einige Wochen her, aber ich erzähle es immer wieder gerne:

Ausgerechnet Walmart.com setzte nämlich dem ganzen E-Business dann doch die Krone auf. Der Gigant überraschte die Konsumentengemeinde in den USA mit einer zerknirschten Entschuldigung. Begleitet von der Ankündigung, dass der Konzern das so genannte „Cross-selling- Beratungssystem“ vom Netz genommen habe. Was war passiert? Kunden, die eine sechsteilige DVD-Box mit afroamerikanischen Filmen zum Sonderpreis orderten, darunter der Film: „Martin Luther King: I have a Dream“, teilte die intelligente Kundenberatungssoftware mit: „Sicher hätten Sie auch großes Vergnügen am Film ‚Planet der Affen‘ und an ‚Ace Ventura: die Tierdetektive‘“.

Bad idea. Ich fordere deshalb, dass der amerikanische administrativ-kommerzielle Komplex bitte noch viel, viel mehr Daten von mir sammeln möge, damit ich selbst endlich erfahre, welcher Jogurt zum Film „Der Da Vinci Code“ passt. Und vor allem, dass alle begreifen, dass ich zu keiner Tages- und Nachtzeit kreditfinanzierte Isolierglas-Abonnements haben möchte.

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