Die Föderasten rufen nach dem Staatenbund

Tag eins der Föderalismusanhörung: Gutachter sehen Verstöße gegen die verfassungsrechtliche Idee des Bundesstaats

BERLIN taz ■ Es war der erste von sieben Tagen Anhörung, und schon nach wenigen Stunden standen die Föderalismusreformer ziemlich nackt da. Gleich mehrere Gutachter waren verwundert, dass die Reform derart „krasse Verstöße gegen die Idee des Bundesstaats enthält“. So bekommt Landesrecht auf vielen Gebieten künftig den Vorrang vor dem Bundesrecht. Der Berliner Rechtsprofessor Christian Pestalozza nannte dies eine „monströse Regelung“.

Es war das erklärte Ziel der wohlhabenden Südstaaten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, aus dem bisherigen kooperativen Föderalismus auszusteigen – zugunsten eines Staatenbundes. „Der kooperative Föderalismus ist systemfremd“, sagte etwa der Jurist Peter Huber – und meinte damit: Das Prinzip der Solidarität unter den Bundesländern hat künftig dem Wettbewerb zu weichen.

Dafür machen sich die Föderasten stark, wie sie auf den Fluren des Bundestages spöttisch genannt werden. Der bayerische Landtagspräsident Alois Glück (CSU) etwa, der als Gutachter auftreten durfte, warnte vor den „Sonderfinanzierungsangeboten“, mit denen der Bund den Ländern goldene Zügel anlege. Glück meinte damit das Ganztagsschulprogramm des Bundes, das er ablehnt. Von Eltern und Schulen in der ganzen Republik erhält es indes begeisterten Zuspruch. Für Glück heißt so ein Programm lediglich, „Verantwortlichkeiten vor den Bürgern zu verwischen“.

Für die Bürger im Plenarsaal des Bundestags war die Anhörung sicherlich nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die neuen Verfassungsformeln sind schon kompliziert, die Ausführungen der Jura-Professoren waren noch diffiziler. Dennoch kam gestern in Anwesenheit des gesamten Bundeskabinetts und vieler Ministerpräsidenten Schritt für Schritt zutage, dass die Bundesrepublik nach der Föderalismusreform eine andere sein wird. Die Länder werden mehr Macht haben; genauer gesagt: Die reichen Geberländer aus dem Süden haben künftig das Sagen. Der Bund hingegen wird geschwächt. Beispielsweise dadurch, dass er in bestimmten Fällen eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag mobilisieren muss, um ein Gesetz in Kraft zu setzen. „Das heißt, es braucht eine verfassungsändernde Mehrheit“, rief Christian Pestalozza verärgert ins Plenum, „damit ein Gesetz Gültigkeit bekommt – eine weitere Monstrosität.“

Fritz W. Scharpf, der Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, sagte, solcherlei Regelungen seien offenbar dazu da, „die Pressionsmöglichkeiten der Länder gegen dem Bund“ zu erhöhen. „Da können wir Ihnen als Gutachter auch nicht helfen“, fügte Scharpf an, „Sie müssen politisch entscheiden, ob Sie das wollen.“ Allerdings warnte der Altmeister der modernen Föderalismuskritik, die Wünsche nach bundesweit vergleichbaren Bedingungen in Deutschland zu unterschätzen. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sei in der Verfassung wie in der Bevölkerung verwurzelt. „Da auszusteigen halten wir politisch nicht durch.“ CHRISTIAN FÜLLER