„Man sieht in Berlin so viel Himmel“

INTERVIEW Berlins Baulücken gehören einer vergangenen Epoche an, sagt die Stadtforscherin Therese Teutsch

■ geboren 1981 in Berlin. Studium der Literatur- und Kulturwissenschaften in Manchester, Bologna und Frankfurt (Oder). Lebt in Berlin.

taz: Frau Teutsch, Sie haben ein Buch über Lücken im Berliner Stadtraum geschrieben. Gibt es noch eine andere Stadt mit so viel Brandwänden und Brachen wie in Berlin?

Therese Teutsch: Nein, ich kenne keine andere Stadt. Das prägt Berlin. Und es hat auch mich geprägt. Das ist ein Stück Heimatgefühl.

Sie sind hier aufgewachsen.

Am Herthaplatz in Niederschönhausen. Ich habe auf Brachen Drachen steigen lassen und gespielt. Wir haben das Drachenfeld genannt. Das wurde in den Neunzigerjahren schnell bebaut. Dennoch war die Stadt lange Zeit ein großer Kinderspielplatz.

Wim Wenders hat mit seinem Film „Der Himmel über Berlin“ der Brandwand ein filmisches Denkmal gesetzt.

Aber er hat noch etwas anderes offenbart. Man sieht in Berlin so viel Himmel. Das hat nicht nur mit der Breite der Straßen zu tun, sondern auch mit den vielen Lücken.

Inzwischen scheint es so, dass diese Lücken nicht mehr als Freiräume gelten, die es zu erhalten gilt, sondern als Wunden, die geschlossen werden müssen.

Wenn ich keine große Liebe zu diesen Lücken hätte, hätte ich bestimmt dieses Buch nicht geschrieben. Das gilt auch für die Lücke als ästhetisches Phänomen und alles, was sie freilegt. Neben dem Himmel sind das die Innereien und das Getriebe der Stadt – Garagen, Mauerwerk, Schornsteine. Auf der anderen Seite ist mir klar, dass eine Stadt nicht nur aus Lücken bestehen kann. Berlins Lücken sind ja Vermächtnisse von Krieg und Kaltem Krieg und gehören einer Epoche an, die nun vergangen ist. Stadt heißt normalerweise Verdichtung, und was jetzt einsetzt, ist eben Normalität.

Aber es sind die unfertigen Orte und Freiräume, derentwegen viele Touristen und Neuberliner in die Stadt kommen.

Ja, Berlin ist wegen seiner Rauheit attraktiv. Je glatter und sauberer die Städte werden, desto stärker konzentrieren wir uns auf die Orte, die diese Rauheit verbreiten. Andererseits können Rohheit und Brüchigkeit aber nicht konserviert werden. Diese Orte sind nicht durch Planung entstanden, sondern ohne Plan. Mit Planung kann man sie also nicht retten. Das käme einer Musealisierung gleich und wäre ihr Ende.

Wird das Raue dann an den Stadtrand verdrängt werden?

In den meisten Städten ist das schon so. Nun passiert es auch in Berlin.

Eines Ihrer Beispiele im Buch ist der Moritzplatz. Da ist eine Lücke nun mit dem Aufbau-Haus bebaut. Ein Verlust?

Nein, einmal gibt es gegenüber die Prinzessinnengärten. Und dann tut das Aufbau-Haus nicht so, als schließe es eine Wunde, sondern fügt sich ganz neu in den Ort ein. Es zeigt nach vorne und nicht in die Vergangenheit. Wichtig ist, dass man die Brüche auch nach einer Bebauung noch wahrnehmen kann.

INTERVIEW: UWE RADA

■ Therese Teutsch: „unverfugt – Lücken im Berliner Stadtraum“. Lukas Verlag, 128 S., 25 Abb., 19,80 Euro