LESERINNENBRIEFE
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Wer ist an Eskalation interessiert?

■ betr.: „Rabimmel, rabammel, rabumm“, taz vom 8. 11. 13

Die heißgelaufenen Netze der letzten Tage zeigen, dass der vergleichsweise kleine Anlass aus der städtischen Kita genügte, um auf gekonnt rechtspopulistische Art sämtliche Ängste vor Vaterlandsverlust zu mobilisieren. Als Superlativ aller Superlative und finalen Dolchstoß werden die Zuwanderer („Ausländer“) und die Linken ausgemacht. Wer ist an dieser Eskalation interessiert gewesen? Passt das nicht zu dem Trend, dass Politiker aller Parteien und Journalisten die zunehmende Forderung nach Trennung von Kirche und Staat sowie Säkularisierungstendenzen immer wieder Zugewanderten und Linken zuschieben wollen mit dem Vorwurf, sie würden aus Rücksichtnahme auf andere Kulturen christliche Bräuche abschaffen wollen? Nach der allgemeinen Stimmungsmache steht ja die Einführung der Scharia in Europa unmittelbar bevor, Kulturkampf wird angesagt. Hinterlässt die toxische Propaganda nicht das Bild, der Islam und irgendwelche Linke wollten uns jetzt auch noch Weihnachten wegnehmen? Wieso inszenieren sich hier die Aufreger gegen die „Vaterlandsverräter“ als Opfer, wo sie doch offensichtlich die satte Mehrheitsgesellschaft vertreten?

Sollte nicht auch die taz einer städtischen, also säkularen Einrichtung wie diesem Kindergarten durchaus beistehen bei ihrem – schüchternen – Versuch, den Laternenumzug ohne heiligen religiösen Überbau zu liberalisieren? Statt einfach im Mainstream der Medien auf der Welle eines angeblich authentischen Volkszorns mitzuschwimmen, erwarte ich von der taz Ermunterung zum Denken im Widerspruch, nonkonformistische Beiträge, die zeigen, dass eine kritisch-reflexive Intellektualität möglich und gesellschaftlich unvermindert notwendig ist. BERND OCKER HÖTERS, Berlin

Woher kommt die Wut?

■ betr.: „Rabimmel, rabammel, rabumm“, taz vom 8. 11. 13

Die Sagel-Schelte verstellt den Blick auf das eigentliche Problem. Interessanter ist doch: Warum lässt sich jemand zu solch einer albernen und ungeschickten Forderung hinreißen? Vermutlich hat Rüdiger Sagels Idee ihren Grund in einer diffusen Gefühlslage der Verletzung, von der religionspolitische Diskussionen häufig schwer zu trennen sind – und das gilt für Anhänger einer jeden Richtung. Selbst ein Kinderfest mit so schönen Dingen wie Laternen, Brezeln und einem barmherzigen Ritter setzt nun Aggressionen gegen die Dominanz christlicher Kultur frei. Man sollte fragen: Woher kommt die Wut auf alles Kirchliche/Christliche, die aus dem kuriosen Vorschlag spricht? Es gibt in unserer pluralistischen Gesellschaft eine große Menge kultureller und weltanschaulicher Strömungen, von denen die christlichen Kirchen zwei wichtige, aber eben auch nur zwei unter vielen sind. Weit über ein Drittel der Menschen in Deutschland wird durch sie nicht vertreten. Die gesetzlichen Feiertage bilden aber überproportional christliche Anlässe ab. Nur der Tag der Arbeit und der Tag der Deutschen Einheit sind anerkannt feierlich und arbeitsfrei ohne religiöse Definition. Dafür werden am Karfreitag auch Nichtchristen zur Beachtung der Feiertagsruhe gezwungen. Diese christliche Dominanz ist taktlos bis repressiv, aber ganz sicher kein Anlass, christliches Festgut umzuwidmen. Das steht keinem zu außer den Kirchen. Es zeigt aber, wie wichtig in der Tat ein Feiertag wäre, der über religiöse und weltanschauliche Grenzen hinweg verbindet. Vielleicht neidet man dann einander künftig nicht mehr die Laterne. PETER DAHLHAUS, Köln

Leider nur eine Legende

■ betr.: „Rabimmel, rabammel, rabumm“, taz vom 8. 11. 13

Die Sankt-Martins-Umzüge gehen auf eine Legende zurück, die sich um die historische Gestalt des Martin von Tours (316–397) rankt, der von der katholischen Kirche als Heiliger verehrt wird. Der allseits als fanatisch säkular empfundene Umbenennungsvorschlag für die Sankt-Martins-Umzüge passt insofern zu diesem „Heiligen“, weil dieser selbst als fanatischer Christianisierer bei der Evangelisierung der gallischen Länderregion aufgetreten ist. Kaum ein den Heiden heiliger Ort, wo Martin nicht Götterbilder, Altäre zertrümmert und Tempel niedergebrannt hat. Auf den zerstörten Kultstätten ließ er dann Kirchengebäude bauen. Außerdem nannte Martin von Tours 20.000 Sklaven sein eigen. Er war also immens reich, was den kirchenkritischen Historiker Karlheinz Deschner zu der berechtigten Frage veranlasst hat, warum Martin dem nackten Bettler nur den halben Mantel und nicht den ganzen geschenkt hat? Und zu allem Unglück müssen zu Ehren dieses Mannes auch heute noch alljährlich Millionen von Gänsen – meist aus Qualzucht osteuropäischer Produzenten – ihr Leben lassen. „Sankt Martin war ein guter Mann“, heißt es in dem Kinderlied – leider nur in der Legende. RALF BÖHM, Berlin

Das Laterne-Gehen

■ betr.: „Rabimmel, rabammel, rabumm“, taz vom 8. 11. 13

Man lernt ja nie aus! Dass Laterne-Gehen was mit St. Martin zu tun hat, erfahre ich also heute aus der taz. In meinen fast 67 Jahren bislang hab ich das nicht erfahren, okay, die meisten in Norddeutschland. Aber auch in 7 1/2 Jahren in NRW, in Bielefeld, hab ich davon nichts gehört oder gesehen. Also ein katholisches Phänomen? Nee, wohl ein Rheinländisches, denn auch in meinem einen Jahr in München ist mir kein St. Martin zum Laterne-Gehen untergekommen. Also: für die übergroße Mehrheit unserer Mitbürger ist das schlicht „Laterne-Gehen“. Das hätte ich gern in dem taz-Artikel gelesen und damit etwas Relativierung in dieser künstlichen Aufgeregtheit.

WOLFRAM GIESE, Neu Wulmstorf