IM PYJAMA
: Früh aufstehen

Manches kommt einem vertraut vor

Ich bin um sechs aufgestanden. Sechs Uhr morgens. Ich. Das muss man sich mal vorstellen! Das hab ich nicht mehr gemacht, seit ich in der neunten Klasse donnerstags nullte Stunde Sport hatte. Und da bin ich auch nur alle paar Wochen mal pünktlich gekommen. Und dann hat Peter, der Hausmeister, den wir alle so liebten, immer blöde Witze gemacht, wenn ich im Halbschlaf mein Fahrrad auf dem Schulhof angeschlossen hab: „Gegenwind, wa?“ oder „Warum hast’n deinen Pyjama noch an?“

Allerdings muss ich zugeben, dass ich unumstrittene Schulmeisterin im Verspäten war. Dafür habe ich beim Abiball sogar einen Orden gekriegt. Und den roten Wecker, der jetzt drei Tage hintereinander um sechs geklingelt hat. Dabei hab ich mir extra einen biorhythmuskompatiblen Job gesucht. Schriftsteller müssen nie früh aufstehen, hab ich gedacht.

Und dann war Projektwoche in der Schule, wo ich normalerweise zu künstlerfreundlicher Uhrzeit den wöchentlichen Theaterkurs leite. Und plötzlich musste ich drei Tage hintereinander um acht da sein. Und weil die Schule weiter weg ist als meine damals, und weil Lehrer im Gegensatz zu Schülern bei Unterrichtsbeginn wirklich wach sein müssen, habe ich sogar auf den Wecker gehört.

Um vier war mein Tag zu Ende. „Was soll ich denn die nächsten vier Stunden machen, bis ich endlich ins Bett darf?“, hab ich gewinselt, und meine beste Freunde hat nur geschnaubt am Telefon. Sie ist nämlich Ärztin in Schwedt an der Oder und steht jeden Morgen um 4.30 Uhr auf, damit sie um sieben auf Station ist.

Man gewöhnt sich an alles.

Und manches kommt einem sehr vertraut vor. Wie die Stimme, die über den Schulhof schallte, als ich Freitagmorgen mein Fahrradschloss ums Vorderrad würgte: „Lea, warum hast’n deinen Pyjama noch an?!“ Peter ist seit vier Jahren Hausmeister an der Schule. LEA STREISAND