Die Praxis der Theorie

Als Kurator lässt Felix Hoffmann mit der Ausstellungsreihe „Talents“ bei C/O Berlin junge Fotokünstler und -kritiker aufeinander los, damit sie mehr Professionalisierung lernen. Kann das gut gehen?

VON MARCUS WOELLER

Kunst und Kunstkritik sind zwei Seiten derselben Medaille. Aber die Kritik sei unterrepräsentiert, findet der Kurator Felix Hoffmann, weshalb er im Rahmen des Forum für Fotografie C/O Berlin ein neues Ausstellungsprojekt angeschoben hat. In den Studioräumen der Galerie befindet sich seit April ein Kabinett für junge Fotografinnen und Fotografen. Zu jeder Ausstellung erscheint eine Publikation, die einerseits die Ausstellung durch einen Katalogteil erweitert, andererseits der Kunst direkt ihre Kritik gegenüberstellt.

Junge Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler und Vermittler setzen sich im Textteil mit dem jeweils ausgestellten Werk auseinander. Zuletzt war von Stephanie Kiwitt, die in Leipzig unter anderem bei Timm Rautert studiert hat, die Reihe „bricolage“ zu sehen; Claudia Gochmann hat dazu einen Essay verfasst und sich mit der Künstlerin unterhalten. Ab heute stellt Sibylle Fendt aus der Frankfurter Städel-Klasse von Wolfgang Tillmans ihre Fotografien zu Messies aus, Anne-Pascale Frohn, die mit dem Erasmus-Programm zum Studium aus Paris nach Berlin gekommen ist, wird die Bilder kritisch begutachten.

Kritiker und Künstler auf einer gleichberechtigten Basis aufeinander loszulassen – kann das gut gehen? Hoffmann sieht in dem Projekt ein Sprungbrett: „In der Kombination entsteht ein Fundament, um Zugänge zu Kunst oder Fotografie zu bekommen. Dann ist Kunstkritik nicht mehr nur ein Add-On, sondern stellt dar, was Kunst oder Fotografie legitimiert, erklärt.“ Andererseits weiß Hoffmann aber auch, dass sich nicht nur die jungen Fotografen schwer tun, Ausstellungen zu bekommen – „für junge Kunstkritiker ist es ja im gleichen Maße schwierig, Texte zu publizieren.“

„Jung“ ist das Schlüsselwort für diese Idee. Es definiert sich jedoch nicht über das biologische Alter, über mehr Gefühl oder womöglich weniger Erfahrung, sondern in Bezug auf das Koordinatensystem der persönlichen Karriere. Kiwitt arbeitet mit der Galerie Amerika zusammen, Gochmann hat ihren Magister zu den Fotos von Lee Friedländer gemacht.

Zwischen Ausbildung und Beruf stehen also die Beteiligten bei „C/O Talents“: Die Fotografen kommen von Kunsthochschulen, die Kritiker haben zumeist eine wissenschaftliche Ausbildung an Universitäten hinter sich. Dort aber wird die Spezialisierung in Richtung kritischer Kunstbetrachtung oder Kulturjournalismus kaum gefördert, beklagt Hoffmann: „Dass Kunsthistoriker oder Journalisten tatsächlich ausgebildet werden zum Kunstkritiker, ist ja non-existent. Dinge wirklich kritisch zu sehen und mal den Finger in die Wunde zu legen, das findet äußerst selten statt. Und das ist schade.“

Dagegen bietet das duale Konzept der neuen Ausstellungsreihe den Theoretikern die Möglichkeit, ihr akademisch erworbenes Wissen konkret an aktuellen künstlerischen Werken anzuwenden und damit unter Beweis zu stellen, dass Theorie auch eine Praxis sein kann. Denn hier stellen nicht nur die Fotografen ihre Arbeiten zur Schau, sondern eben auch Kunstvermittler ihre Sicht auf die Dinge zur Diskussion.

Von der Gleichsetzung von Kunst und Kritik erhofft sich der Kurator eine Aufwertung des kritischen Geists. „Es wird ja kaum kritisiert, es wird nur beschrieben. Das, was man in den Feuilletons liest, sowohl lokal als auch deutschlandweit, ist hauptsächlich deskriptiv.“ Dagegen vermisst Hoffmann oft jene kritischen Stimmen, die auch mal erklären, warum eine Ausstellung schlecht ist. „Wenn eine Ausstellung gut ist, haut es ja immer noch hin, aber dass sich wirklich jemand kritisch auseinander setzt, ist äußerst selten.“ Nicht zuletzt kann es aber auch den Institutionen zugute kommen, wenn sie sich der Kritik stellen – selbst wenn die Wertung mal schlecht ausfällt.

Für C/O Berlin, die in ihren Hauptausstellungsräumen zum großen Teil etablierte Fotografen zeigen, bedeutet die Talentshow eine neue Ausrichtung. Hoffmann begreift die Öffnung zu neuen Ideen und unbekannten Namen nicht nur als Projekt, das ihm am Herzen liegt, sondern auch als PR in eigener Sache. „Wir haben hier ein Gegengewicht im Ausstellungsbereich geschaffen und versuchen mit dieser Plattform die Besucher, die wir sonst in den großen Ausstellungen haben, auch zu diesen jungen Talenten hinzuführen.“ Letztlich bedeutet die Nachwuchsförderung für ihn damit auch: Öffentlichkeitsarbeit.

C/O Talents 02. Sibylle Fendt – Anne-Pascale Frohn, Eröffnung heute Abend, 19 Uhr, C/O Berlin, Linienstraße 144 (bis 18. 6., Mi.–So. 11–19 Uhr)