„Europa geht anders“

VORTRAG ATTAC kritisiert die Krisenpolitik der EU und lädt zur Diskussion in die Villa Ichon

■ 32, ist Ökonom und im Koordinierungskreis von Attac Deutschland sowie der Projektgruppe Eurokrise.

taz: Herr Stierle, Ihr Aufruf lautet „Europa geht anders“. Was ist denn so verkehrt?

Steffen Stierle: Das Projekt EU ist seit den 1980er-Jahren kaum mehr als eine von Banken und Konzernen vorangetriebene, weitreichende Freihandelszone. Sie ist unsozial und hat ein erhebliches Demokratiedefizit, das in der Krise noch auf die Spitze getrieben wird.

Und was muss anders laufen?

Die Kürzungspolitik, mit der auf die Krise reagiert wird, muss beendet werden und das Geld in nachhaltige Wirtschaftszweige verlagert werden. Und zu den Menschen, die in prekären Verhältnissen leben. Das gilt insbesondere für die südeuropäischen Staaten.

Das Geld ist da und muss nur anders verteilt werden?

Die Umverteilung findet ja längst statt, nur in der falschen Richtung. Privatleute leiden unter den Sparmaßnahmen, während Banken und Konzerne Gewinne einfahren und die Rezessionsspirale immer weiter vorantreiben. Einzelne profitieren also sogar noch von der Krise. Deren Einkommen und Vermögen müssen zumindest angemessen besteuert werden. Stattdessen werden sie systematisch geschont.

In den letzten Jahren erstarken überall nationalistische Bewegungen. Was ist mit denen?

Die sind natürlich ein großes Problem, kommen aber auch nicht überraschend, wenn die herrschende Politik keine Antworten auf die berechtigten Sorgen der Menschen geben kann. Das Problem Rechtsextremismus muss bei der Wurzel gepackt werden. Es gilt, die sozialen Probleme anzupacken.

Im Mai 2014 sind Europawahlen. Was befürchten Sie da? Oder darf sogar gehofft werden?

Ich mache mir keine großen Hoffnungen, was die Lösung der Krisenproblematik betrifft. Das Europaparlament ist schließlich integraler Ausdruck des Demokratiedefizits. Die Wahl gibt aber ein wichtiges Stimmungsbild, das soziale Bewegungen berücksichtigen müssen: Die zunehmende Ablehnung der europäischen Integration zum Beispiel oder eben die nationalistischen Strömungen.

Interview: JAN-PAUL KOOPMANN

19.30 Uhr, Villa Ichon, Goetheplatz